Die Sorgen der Menschen aus der Ukraine, die am Lech leben
Die Sorgen sind groß, Angst geht um – auch in Augsburg. Besonders betroffen vom Ukraine-Krieg sind Menschen aus diesem Land, die in der Fuggerstadt leben, aber um Angehörige im Kriegsgebiet bangen.
Eine ist Lena Rudenko. „Seit 14 Jahren lebe ich in Deutschland, habe hier meine zweite Heimat. Dennoch kann und will ich die 22 Jahre meines Lebens in dem Land, in dem ich geboren und aufgewachsen bin, nicht aus meinem Herzen streichen. Ich komme aus Kryvyj Rig, das ist eine Industriestadt im Südosten der Ukraine. Ein Großteil meiner Familie lebt dort, inklusive Mutter und Bruder. Verwandte sind auch in Lwiw (Lemberg) und Chrakiw zuhause. Am Tag des russischen Angriffs bin ich um 6.30 Uhr aufgewacht, weil meine Mutter eine Nachricht geschickt hat: ‚Es geht uns gut!‘ “
Rudenko kann nicht genau beschreiben, was sie gefühlt hat, als sie dies las. „Wut, Ärger, Verzweiflung, Hilflosigkeit – wir wollten das nicht, wir haben nicht um diesen Krieg gebeten, wir haben ihn nicht angefangen! Was war der Grund? Ein verrückter Präsident eines Nachbarlandes findet es nicht ok, dass ein souveränes unabhängiges Land selbst entscheidet, wie es sein Leben gestaltet. Er mag es nicht, wenn er keine Kontrolle über uns hat. So etwas muss bestraft werden!
Es ist ihm 2014 mit der Krim gelungen, jetzt will er mehr. Ich weiß nicht, was die Zukunft bringt, aber die Menschen werden sterben. Sie werden sterben, weil ein kleiner Mann zu große Ambitionen hat und keiner ihn stoppt.“
Auch andere russischstämmige Augsburgerinnen sagen ihre Meinung: „Ich hätte nie erwartet, dass Putin so etwas tut“, meint etwa Elvira Güldner. „Ich finde die Bilder im Fernsehen schrecklich.“ Güldner hat viele Freunde aus der Ukraine – in ihrem Lokal gehen Menschen aus allen Teilen der ehemaligen Sowjetunion ein und aus. „Ich mache keine Unterschiede, aus welchem Teil der ehemaligen GUS jemand kommt – wir sind ein Volk. Bruder muss jetzt gegen Bruder kämpfen“, bedauert sie. „Wenn ich mir vorstelle, wie viel Angst die Kinder dort jetzt haben, kommen mir Tränen“.
„In Augsburg gibt es sehr viele betroffene jüdische Immigranten aus der Ukraine“, weiß Tatjana Rüb aus Kasachstan, die sich ehrenamtlich in der Synagoge engagiert. Dort herrsche furchtbare Angst um die zurückgelassenen Angehörigen – viele seien spontan ins Auto gestiegen, um ihre Ehefrauen oder Kinder aus der Ukraine zu holen. „Mich macht die Situation vor allem wütend – was denkt sich Putin nur dabei“, so die Vorsitzende der CSU im Univiertel. Trüb sieht mit Sorge, dass sich auch in Augsburg gerade Russen und Ukrainer mit Misstrauen und Zorn begegnen. „Hier hat niemand mit dem Krieg zu tun – Russen und Ukrainer müssen jetzt zusammenstehen“, hofft sie.
Liliya stammt aus Kiev – ihr Bruder und die Familie seiner Tochter harren dort noch aus. „Es ist momentan nicht möglich, die Stadt zu verlassen, alles ist blockiert“, hat sie von ihm erfahren. Die Familien haben sich im Keller verkrochen und versuchen, den russischen Angriff zu überstehen. „Um 3 Uhr morgens ist ein Wohnhaus von russischen Raketen getroffen worden – die Bevölkerung ist in Angst“, weiß die Ukrainerin. „Für mich ist es schrecklich, das Land, in dem ich geboren bin, in so einem Zustand zu sehen“, sagt sie.
Swetlana Leonidow, im Sekretariat des Augsburg-Journal-Verlags tätig, lebt mit ihrer Familie seit bald 18 Jahren in Deutschland. Sie hat die russische und die deutsche Staatsbürgerschaft. Während ihre Eltern weit weg in Sibirien leben, ihr Bruder nahe Moskau, sind ihre Großeltern kürzlich trotz allem von der mutmaßlich sicheren Wohnung des Bruders wieder zurück in die Nähe von Donezk in ihre ukrainische Heimat zurückgekehrt. Deswegen gilt die besondere Sorge der Familie den Großeltern dort, wo bereits seit Jahren immer wieder Kämpfe stattfinden.
Leonidow weiß von Berichten, dass die Großeltern des Öfteren wegen Beschuss in den Keller flüchten müssen, dass sie aber dennoch lieber dort leben wollen. Kämpfe gehörten für die Großeltern zur Tagesordnung. Spricht Leonidow mit Familienangehörigen oder Bekannten in Russland, so sind viele beunruhigt. Beunruhigt, als „kleine Leute“ von Sanktionen bestraft zu werden, die eigentlich andere treffen sollen.
Wird man einander weiterhin besuchen können? Eine Frage, die Leonidow umtreibt. Hatten sie und ihre Kinder in den vergangen zwei Jahren auf Besuche ihrer Eltern und Großeltern wegen der Corona-Beschränkungen verzichtet, so sei man jetzt in Sorge, ob es überhaupt noch Reisemöglichkeiten geben wird. „Wo soll das hinführen..?“ ams/si/fd/bub
Singen, beten, hoffen
Furchtlos stimmt Anna Kyrychenko die Nationalhymne ihrer ukrainischen Heimat an und zahlreiche Landsleute auf dem Augsburger Rathausplatz singen mit. „Noch sind in der Ukraine Ruhm und Freiheit nicht gestorben“, heißen die ersten Worte übersetzt. Worte, die nicht dieser Tage unter dem Eindruck des Krieges geschrieben wurden, sondern die über 150 Jahre alt sind. Ob es die Wirkung dieses gemeinsamen Liedes ist, dass manchen die Tränen in die Augen steigen lassen?
Die Menschen, mehr als 200 an der Zahl, haben für die Kundgebung an diesem Tag, an dem der bei ihnen verhasste russische Staatspräsident Wladimir Putin den Einmarsch in die Ukraine befohlen hat, einen großen Kreis gebildet – ein Zeichen der Gemeinschaft. Viele haben sich blau-gelbe Tücher, um den Körper gewickelt, schwenken Fahnen in den Landesfarben oder halten Schilder mit Parolen, Forderungen, Appellen in die Höhe. Unter den Anwesenden ist der größte Teil des Stadtrates – gekommen mit einem Extra-Bus. Die Sitzung in der Kongresshalle war für die Kundgebung unterbrochen worden. Wie viele andere Redner*innen auch erinnert OB Eva Weber an die besondere Verpflichtung Augsburgs als Friedensstadt. Zeichen des Friedens und der Versöhnung sollten von hier ausgehen, Angebote zum Gespräch, Angebote zur Hilfe. Es sei selbstverständlich, dass Augsburg die Hand biete für Menschen, die vor dem Krieg in ihrer Heimat flüchten. Vorbereitungen für die Aufnahme von Flüchtenden würden umgehend aufgenommen.
Mehrere Redner*innen berichten aus ihren Herkunftsorten, aus Lwiw, Kiew, aus der Region Donezk. Sie berichten, was Angehörigen ihnen in den letzten Stunden mitgeteilt haben. Es gibt auch Aufforderungen, jene „Russen“, die in nächster Zeit als Touristen kommen, entsprechend zu empfangen.
Dem entgegen stehen Aufrufe zur Besonnenheit, Hinweise darauf, dass es nicht „die Russen“ seien, welche die Ukraine angegriffen hätten, sondern allen voran Präsident Putin und seine Gefolgsleute. Nach einer guten Stunde löst sich die Versammlung auf, für nicht wenige beginnt die Sorge um ihre Angehörigen, Freunde, Bekannte in der fernen Heimat jetzt erst so richtig.
Augsburgs Bischof Bertram Meier zeigt sich schockiert und erschüttert über die Nachrichten aus der Ukraine und hat alle Gläubigen des Bistums zum „inständigen Gebet“ aufgerufen. Besonders schließt er sich dem Aufruf des Papstes an, den Aschermittwoch als einen Tag des Gebets und des Fastens für Frieden in der Ukraine zu begehen. Papst Franziskus hatte gesagt, „Jesus hat uns gelehrt, dass man auf die teuflischen Einflüsterungen und die teuflische Sinnlosigkeit der Gewalt mit den Waffen Gottes antwortet: mit Gebet und Fasten.“ Bischof Bertram bittet alle Gemeinden und alle Menschen guten Willens, diesem Appell des Papstes zu folgen. „Die Menschen in der Ukraine brauchen unser Gebet jetzt noch mehr.“ Der Oberhirte selbst wird dies beim Aschermittwoch der Künstler aufgreifen.
Auch die Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche in Deutschland haben gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland zum Gebet für den Frieden aufgerufen.