Auf der ZDF-Website ist über Brecht zu lesen: „Bertolt Brecht lebte und liebte exzessiv, seine „Polyamorie“ war legendär – ebenso die Tatsache, dass er die Frauen für seine Arbeit einspannte. Allen voran seine Ehefrau Helene Weigel, die seine Liebesaffären und Liebestragödien tapfer erduldete.“
was würde Brecht heute tun? Bert Brecht und Gendern? Nein! Auch auf Woke-Wahnsinn, Frauenquote und Shitstorms hätte Brecht gute Antworten. Am 10. Februar wurde der berühmte Sohn unserer Stadt 125 Jahre alt, weshalb wir von BB-Experten wissen wollten: Wie käm‘ der 1898 als Eugen Berthold Friedrich Brecht in Augsburg geborene Ausnahme-Lyriker heutzutage klar? Wie würde ihm seine Heimat im Jahr 2023 gefallen? Was würde er chatten, twittern, posten? Spannende Spekulationen!
Fünf Experten sprechen daüber, was Brecht in unserer Zeit täte
Autor, Regisseur und von 2009 bis 2016 Leiter des Brechtfestivals Augsburg
Literaturwissenschaftler, Universitäts-Professor und Leiter der Bertolt-Brecht-Forschungsstätte Augsburg
Augsburgs bekanntester Buchhändler und ausgewiesener Brecht-Kenner
Tourismusdirektor der „Brecht-Stadt“ Augsburg
Literaturexperte und Geschäftsführer der Büchergilde Gutenberg in Frankfurt
Joachim A. Lang war von 2009 bis 2016 erfolgreicher Leiter des Augsburger Brechtfestivals.
„Frauen hatten bei Brecht kein leichtes Schicksal“
Der Autor und Regisseur Joachim A. Lang sieht Brecht als radikalen Gesellschaftskritiker – nicht nur seiner, sondern auch der heutigen Zeit
Gesellschaftliche Quantensprünge wie die Einführung des Computers hätte Bertolt Brecht gefeiert – ist sich der Brecht-Kenner Joachim A. Lang sicher. Acht Jahre lang leitete er das Augsburger Brechtfestival, feierte mit bis zu 15.000 Besuchern pro Festival Besucherrekorde und erreichte auch überregional eine starke Medienresonanz. Sein gesamtes Berufsleben lang beschäftigte er sich mit dem Augsburger Dichter – und sieht viele Parallelen zur heutigen Zeit. „Sein Werk ist aktueller denn je, blickt man zum Beispiel auf den Ukraine-Krieg: Da fällt mir sofort sein Stück „Mutter Courage“ ein, das zeigt, dass die „kleinen Leute“ im Krieg nichts gewinnen, aber alles zu verlieren haben.“
Auch BB-Themen wie der Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit, aber auch sein ausgeprägtes Selbstbewusstsein mit Sinn für Eigen-PR hätten gut in die Jetzt-Zeit gepasst, vermutet der Brecht-Kenner. In seiner Dissertation über „Episches Theater als Film: Bühnenstücke Bertolt Brechts in den audiovisuellen Medien“ lernte er Brechts Vorreiter-Rolle in Sachen „neue Medien“ kennen.
„Er hat sehr früh alles Moderne für sich eingesetzt. Ob es einfache Dinge des Alltags wie die Schreibmaschine, aber auch das Radio und Neuerungen in der Kunst, wie die Filmmontage, waren. Er hat die Medien für seine Kunst verwertet, das geht gar nicht anders für einen Dichter, der auf der Höhe der Zeit ist.“ Im „Dreigroschenprozess“ sagt er: „Der Filmsehende liest Erzählungen anders. Aber auch der Erzählungen schreibt, ist seinerseits ein Filmsehender.“ Deshalb ist Lang überzeugt: Brecht hätte neue Medien, wie Social Media-Kanäle, verwertet. Ein Shitstorm hätte ihm dabei nichts ausgemacht. Brecht hat sich nie vor einen Karren spannen oder von einer Mehrheitsmeinung beeinflussen lassen.
Generell hatten die Frauen bei Brecht kein leichtes Schicksal – was heutzutage nicht gut zu Emanzipation und Gleichberechtigung passen würde. Lang: „Die nicht-monogame Lebensform, die Brecht und seine Frauen wählten, brachte Verletzungen mit sich. Auch die Arbeitsweise im Kollektiv, die aber gerade dieses einzigartige Werk hervorbrachte. Einen Dichter nach bürgerlichen Wertvorstellungen und seinem Privatleben zu beurteilen, ist allerdings schwierig. Würde man diese moralische Messlatte als Hürde anlegen, wären wir arm an Künstlern.“
Und in seinem Werk habe BB „mehr als jeder andere seiner Zeit große Frauenfiguren geschaffen.“ Also mit der heutigen Frauenquote hätte der Augsburger Dichterfürst in seinen Stücken kein Problem gehabt.
Literaturwissenschaftler, Universitätsprofessor und Leiter der Bertolt-Brecht-Forschungsstätte Augsburg
„Ich sehe sein verächtliches Grinsen“
Lustig machen würde er sich über die heutige Zeit – ist sich Brecht-Forscher Hillesheim sicher; und heute wie damals Herum-Lavieren, im eigenen Interesse
Viele werden es nicht gerne hören: Brecht taugt nicht als moralisches Vorbild, heutzutage schon gar nicht. Er eignet sich nicht als Projektionsfläche sozialistischer Träume und Wünschbarkeiten, er war alles andere als ein Klassenkämpfer und Sozialromantiker, sondern nutzte den Kommunismus als literarische Marktlücke. Als Ideologie stieß er ihn ab, weil das Individuum, das, was den Menschen besonders und eigen macht, zerstört wird. Über die kommunistische Partei sagt er 1933: „In deinem Anzug steckt sie, Genosse, und denkt in deinem Kopf.“ Ein schlimmerer Befund ist kaum denkbar.
Von Anfang an, schon in seiner Augsburger Zeit, plante Brecht gezielt seine Karriere als Schriftsteller und machte Zugeständnisse, wo es nur ging, wenn er sich davon Vorteile versprach. Grundprinzip seines Werkes ist die Ambivalenz, das Lavieren im eigenen Interesse.
Ist das zu verurteilen? Keineswegs! Wir haben diesem strategischen, moralisch flexiblen Vorgehen Brechts eines der bedeutendsten Werke der klassischen Moderne zu verdanken, ein Werk, in dem mit Frauen durchweg respektvoll umgangen wird.
Und heute? Brecht würde sich über die um sich greifenden Überkorrektheiten, über das Moralisieren um des Moralisierens willen, lustig machen; darüber, dass Begriffe wie „Solidarität“, „Haltung“ und „Achtsamkeit“ immer mehr zu inflationären Worthülsen und Kampfbegriffen werden. Das steht für mich fest. Ich sehe sein verächtliches Grinsen geradezu vor mir.
Augsburgs bekanntester Buchhändler und ausgewiesener Brecht-Kenner
„Über Shitstorms hätte Brecht geschmunzelt“
Neue Medien waren auch früher schon sein Ding – vermutet Idrizovic und „digitalisiert“ gleich mal sein Werk
Ob Brecht das Internet begrüßt hätte? Aber ja!!
Alle technischen Errungenschaften haben ihn interessiert: Die U-Bahn (Moskau), Autos (Steyr), der Film (er schrieb Drehbücher) und vor allem das Radio, sprich: der Hörfunk. Für dieses Medium entwickelte er sogar eine eigene „Radio-Theorie“. Weit vor dem Internet war ihm klar, dass alle Erfindungen nur im demokratischen Austausch fortschrittlich sein können. Der Hörer wird gleichzeitig zum Sender.
Ob er getwittert hätte? Keine Ahnung, aber eines ist klar: Er war an jeglichem Dialog interessiert – und hätte sich sicher daran beteiligt – um das Phänomen zu studieren. Über Shitstorms hätte er eher geschmunzelt. Grundsätzlich war Brecht ein neugieriger Mensch, interessiert, hellwach und geistreich. Ein Blick in sein (umfangreiches) Werk genügt. Möglicherweise hätte er die „Dreigroschenoper“ augenzwinkernd leicht umgedichtet.
Hier also Brechts Beitrag zur Digitalisierung:
„Ja, renn nur nach dem Klick,
doch renne nicht zu sehr.
Denn alle rennen nach dem Klick,
der Klick rennt hinterher.“
Tourismusdirektor der „Brecht-Stadt“ Augsburg
„Er wäre immer noch ungemütlich“
Mehr Bürger-Kompetenz und soziale Gerechtigkeit würde Brecht einfordern, meint Tourismuschef Beck
Wenn wir uns B.B. in die heutige Zeit denken, dann hätte er wirklich sehr viel zu tun. Er würde sich sicherlich Gedanken darüber machen, warum der Faktor Arbeit in vielen Bereichen nicht mehr ausreicht um über die Runden zu kommen. Er würde sich fragen, warum der Faktor Kapital bei immer weniger Menschen zu immer mehr Reichtum führt und welche sozialen Spannungen daraus entstehen.
Er würde aber auch kritisch mit unserem demokratischen System umgehen und zu dem Ergebnis kommen, dass es korrigiert werden müsste und den Bürger*innen mehr Entscheidungskompetenz zugeordnet wird, damit notwendige Reformen realisiert werden können. Brecht würde die Gier der Menschen anprangern und die Ausbeutung im sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Sinn. Er würde also das machen, was er schon immer gemacht hat. Und dabei wäre es ihm egal ob er einen Shitstorm auslöst oder nicht. Er wäre ungemütlich und würde immer noch sagen: „Ihr aber, wenn es soweit sein wird, dass der Mensch dem Menschen ein Helfer ist – gedenkt unserer mit Nachsicht“.
Literaturexperte und Geschäftsführer der Büchergilde Gutenberg (Frankfurt)
„Gendern würde Brecht ablehnen“
Mit „Neudeutsch“ und Klima-Klebern könnte BB nichts anfangen, meint Alexander Elspas; mit dem Thema Gleichberechtigung aber auch nicht unbedingt
Brecht in der Jetzt-Zeit? Da fällt mir dieses Zitat von Brecht aus dem Jahr 1952 ein. Vielleicht beantwortet das ein Stück weit die Frage: „Von Natur aus bin ich ein schwer beherrschbarer Mensch. Autorität, die nicht durch meinen Respekt entsteht, verwerfe ich mit Ärger, und Gesetze kann ich nur als vorläufige und fortwährend zu ändernde Vorschläge, das menschliche Zusammenleben regulierend, betrachten.“
So ich denke, er würde Gendern als sprachsensibler Mensch vehement ablehnen. Dito Klimakleber und Suppenschmeißer. Shitstorm wär‘ ihm egal gewesen; hat er genug gekriegt. Ob, respektive wie, er heute zur Gleichberechtigung stünde, darüber möchte ich lieber keine Vermutungen anstellen oder äußern …!
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