Choreograf, Tänzer, Pädagoge und Schriftsteller, so beschreibt Jochen Heckmann sich selbst auf seiner Website. Der Langweider dürfte einigen Augsburgern noch als Ballettdirektor und Chefchoreograf des Staatstheaters in Erinnerung sein. Dort wirkte er von 1999 bis 2007. Nun hat er mit „tanzen fallen fliegen“ seinen Debütroman veröffentlicht – bei dem er sich auch von seinem eigenen Leben inspirieren ließ.
Der erste Schritt war jedoch der Tanz: Wie erinnert sich der heute 56-Jährige an die Zeit in Augsburg? „Es war eine unheimlich aufregende, spannende Zeit“, erzählt Heckmann. Er war damals erst 30 Jahre alt und hatte davor bereits ein eigenes Ensemble in Zürich gegründet – „sehr erfolgreich, aber auch finanziell immer eine große Kampfgeschichte“. In Augsburg, wo der Tanz zwischenzeitlich am Theater bis dato eher brach gelegen sei, wollte er etwas Neues aufbauen. „Das war unheimlich spannend und wir haben ja auch sehr viel Erfolg gehabt.“ Und auch wenn es Höhen und Tiefen gab, betont Heckmann: „Viele, die am Ende meiner Leitung weggegangen sind, sind in die ganz renommierten Ensembles gekommen, was auch die Qualität unseres Ensembles aufgezeigt hat.“

Heute ist Heckmann einmal als freischaffender Choreograf unterwegs. Als Besucher und Trainingsleiter ist er aber immer wieder am Staatstheater Augsburg: „Ich habe zum Beispiel gerade vor kurzem das Staatstheater-Ballett von Ricardo [Fernando] unterrichtet.“ Wie findet er denn seinen Nachnachfolger? „Ich habe von ihm schon jetzt mehrere Stücke gesehen. Ich finde einfach, er und Carla Silva machen eine sehr schöne Arbeit hier in Augsburg, weil er sehr gemischt fährt. Er macht seine eigene Arbeit, er holt Gäste von außen rein und bietet auch eine Abwechslung an. Und er schafft es, ein sehr schönes trainiertes Ensemble auf die Bühne zu kriegen, das auch sehr stimmig ist. Homogenität und Heterogenität: Beides ist da und das muss man hinkriegen.“

Den aktuellen Ballettdirektor & Chefchoreografen Ricardo Fernando trifft Heckmann derzeit öfter, denn er unterrichtet auch das Staatstheater-Ballett.

Nach Augsburg war Heckmann über acht Jahre Artist In Residence am Theater in Kempten. In Zürich war er unter anderem bis zuletzt Künstlerischer Leiter und Dozent an der Höheren Fachschule für Zeitgenössischen und Urbanen Bühnentanz. Aktuell choreografiert und textet er für die Tanztheaterproduktion „I‘m waiting for you“ am Theater am Kirchplatz in Schaan (Liechtenstein) gemeinsam mit Jacqueline Beck.

Als Gastchoreograf war Heckmann unter anderem bereits in Portugal, England oder Polen tätig. Seinen Fixpunkt hat er mit Mann und Hund in Langweid am Lech gefunden. Dort schreibt er auch. Heckmann betont, er habe immer das Glück gehabt, den Traum vom Tanzen, seiner „Grundleidenschaft“, als Beruf leben zu können, „sodass es eigentlich nicht notwendig war, eine andere Kunst dazuzunehmen“. Später hat er auch die Sprache immer mehr für sich entdeckt. „Und ich glaube, das Schreiben ist mittlerweile etwas, was mir deswegen so Spaß macht, weil es vielleicht auch nicht so körperlich ist.“ Einen weiteren großen Unterschied zum Tanzen hat er auch festgestellt: „Es hat zwar viele Parallelen zum Tanzen, aber im Endeffekt ist es dann doch ein sehr alleiniger Prozess, den man im Tanzen nicht hat.“

Literarisch ist er seit 2005 aktiv. Zunächst hat Heckmann mit kurzen Erzählungen und Lyrik begonnen. Hatte aber von Anfang an den Anspruch, „eine gewisse Wertigkeit und ein gewisses Handwerk zeigen zu können und es auch zu erlernen. Es war auch ein langer Prozess, muss ich sagen.“ Neben einem Fernstudium in Belletristik besuchte er Seminare bei Dagmar Leupold im Studio Literatur und Theater in Tübingen. Und wie beim Choreografieren verfolgte er den Ansatz „Learning by doing“ auch beim Schreiben.

Die Idee zum aktuellen Buch entstand auch in diesem Kontext: In einem Seminar ging es um Schlüsselmomente, die die Geschichte, aber auch das eigene Leben beeinflusst haben. Während es bei seinen jüngeren Mitstudenten vor allem um 9/11 ging, war es für ihn der Berliner Mauerfall: Heckmann war zu dieser Zeit in Paris und bekam nicht viel aus Deutschland mit. „Das heißt, ich habe diesen Mauerfall einfach komplett verpasst.“ Ein weiterer Grund, den Mauerfall literarisch zu verarbeiten, war seine Reaktion auf die Nachricht: „Das ist auch im Buch so ein bisschen ähnlich erzählt. Als mein Vater mich anrief und sagte: ‚Du, die Mauer ist gefallen‘, dachte ich: ‚Ja, ist das unsere Gartenmauer, weil die seit längerem schon kaputt ist.‘ Dann sagt er: ‚Nee, nicht unsere Mauer, die Berliner Mauer.‘“ Nun erscheint das Buch pünktlich zum Jubiläum – 35 Jahre Mauerfall.

Jochen Heckmann: “Es ist kein Buch über mein Leben”

Bis aus den paar Kapiteln das Buch wurde, dauerte es aber noch: Heckmanns Vater starb. Im Vorfeld hatte er mit seinem Sohn noch viele Geschichten über die Familie ausgetauscht. Bei der Literarischen Sommerakademie in Schrobenhausen 2020 ermunterte den Autoren dann Judith Kuckart, dortige Dozentin und eine gute Bekannte von Heckmann, und ein „Schreibbegleiter“, den Roman zu schreiben.
In „tanzen fallen fliegen“ (Querverlag, Berlin) taucht Heckmann ins Wendejahr ein. Seine Hauptfigur Julian will Tänzer werden, entdeckt sich in Paris neu. Währenddessen kämpft sich sein Vater zu Hause am Rande des Südschwarzwalds aus persönlichen Verlusten und Einsamkeit zurück ins Leben. Das gelingt ihm erst, als er ein Kästchen des Großvaters findet, das ihn nach Paris und schließlich mit seinem Sohn nach Berlin reisen lässt. Mitten hinein in die Geschehnisse rund um den Mauerfall 1989.

Auch der Autor ist im Schwarzwald aufgewachsen, studierte nach dem Abitur klassischen und zeitgenössischen Tanz in Paris. Autobiografisch sei sein Buch aber nicht. Eher „autofiktional“: „Es hat Ansätze aus meinem Leben, es hat Erfahrungen, Erlebnisse auch von der Familie drin. Aber in vielen Bereichen, mindestens ab dem ersten Drittel des Buches, driftet es in eine ganz andere Richtung. Und dann geht es schon in eine sehr fiktionale Sache rein, wo ich auch Dinge erfinde oder Dinge aus meinem Leben oder meiner Familie ganz anders einarbeite.“ Ein Beispiel: „Mit der Vater-Figur, was ich sehr schön fand, habe ich ein bisschen versucht, meinem Vater ein gewisses Monument zu setzen. Ich hätte ihm gewünscht in seinem Leben, dass er in gewissen Situationen andere Entscheidungen getroffen hätte. Und die habe ich ihm versucht, hier in diesem Roman einfach hineinzulegen. Es ist auch eine neue Figur dadurch entstanden.“ Mit seinem Vater konnte er nicht mehr über diese fiktive Vater-Figur sprechen; er starb kurz nach Ende des Seminars. Die Familie habe das Buch aber „eigentlich sehr positiv aufgenommen“, erzählt Heckmann, da er dem Vater so ein Denkmal gesetzt hatte. Dem Autoren ist eines wichtig: „Es ist kein Buch über mein Leben. Ich habe einen literarischen Anspruch.“ Und es soll ein Buch für ein breites Publikum sein.

Eine Lesung gibt Heckmann am 21. November um 19.30 Uhr in der Thalia Buchhandlung in Kaufbeuren. Am 22. November um 19 Uhr findet die Buchvernissage im buch7 in Langweid am Lech statt, dazu eine Lesung am 11. März 2025 um 19.30 Uhr in der Schlosser‘schen Buchhandlung in Augsburg. Weitere Termine: choreoART.net

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