Nach drei Jahren endet regulär die Amtszeit von Julian Warner (39) als Brechtfestivalleitung. Zeit, um zurückzublicken – und auf das, was noch kommt. Wir sprachen mit ihm vor dem Festivalstart.

Augsburg Journal: Wir befinden uns gerade im Backstage-Bereich für die Hochzeitskapelle. Noch kann man hier in Brechts Kraftklub vieles nur erahnen. Was kommt denn hier sonst noch rein?

Julian Warner: Wir bauen eine Arena mit drei Bühnen und zwei Tribünen. Da finden dann die Wrestling-Show, die Brechtnacht, unser Brecht-Hikmet-Abend, wie auch der komplette Tanzmarathon statt. Dafür brauchen wir die drei Bühnen, weil in den 48 Stunden jeder Musik- und Tanz-Act auf einer Bühne steht und das rotiert. Und in der Mitte wird es eine kleine Bühne geben, auf der die zehn Tänzerinnen und Tänzer tanzen werden, die versuchen, die 48 Stunden zu knacken.

AJ: Die tanzen also wirklich 48 Stunden durch?

Warner: Jein. Von den 48 Stunden sind die Langstreckentänzer mindestens 34 Stunden auf den Beinen. Wir haben Ruhe- und Regenerationszeiten miteingeplant. Das wurde mit einem Arzt und dem Tanzmedizinischen Zentrum (TA.MED) entwickelt. Das Problem oder die Herausforderung, vor der man steht – das musste ich auch erst lernen –, ist, dass jeder Körper anders regeneriert. Es kann einfach sein, dass Sie einen Körper haben, der jede Stunde fünf Minuten Pause braucht und andere, die brauchen immer drei Stunden am Stück. Und so haben wir mit TA.MED einen Plan entwickelt, mit dem wir ein gutes Erlebnis für alle garantieren möchten. Das ist ein großes Spektakel. Aber auch eine völlige Überforderung für einen Körper. Aber es gibt diese zehn Leute, die wirklich Lust haben. Die Motivation ist ganz unterschiedlich. Die einen machen es, weil sie das Geld gewinnen wollen, die anderen wollen das mal erleben, wie das ist, 48 Stunden zu tanzen. Und eine Person macht ganz explizit mit, weil wir mit dem TA.MED zusammenarbeiten.

AJ: Gehen wir noch mal zurück zum Anfang. Als Sie für das Brechtfestival 2023 nach Augsburg kamen – was waren Ihre ersten Gedanken?

Warner: Ich habe mich sehr gefreut auf Augsburg. Ich kannte schon ein paar Institutionen, wie den City Club und das Grandhotel Cosmopolis. Auch von meinem Theaterwissenschaftenstudium kannte ich das Staatstheater. Und ich habe mich sehr gefreut, dass mir die Stadt und die Leute, die vielen Kulturakteure vertrauen.

AJ: Kannten Sie das Brechtfestival auch schon?

Warner: Ja klar, das Brechtfestival kannte ich, hatte es aber noch nie besucht. Ich habs immer aus der Ferne verfolgt. Die verschiedenen Leiter fand ich auch sehr verschieden von ihrem Ansatz her. Bei allen war was Spannendes dabei: Bei Kühnel und Kuttner diese Bespielung des Martini-Parks. Bei Patrick Wengenroth fand ich allein schon ‚Für Städtebewohner*innen‘ im Titel sehr fein. Der hat Brecht sehr progressiv ausgelegt und auch das mit den Frauen und Brecht reinzubringen, fand ich gut. Und dann Joachim Lang, der sehr behutsam durch die verschiedenen Phasen von Brecht gegangen ist.

Höhepunkt von Julian Warner: der Tanzmarathon

AJ: Was hatten Sie sich für Ihre drei Jahre vorgenommen?

Warner: Wenn ich Festivals kuratiere, begreife ich mich immer als lernende Person. Und so habe ich das auch wieder gemacht. Ich habe versucht, tief einzusteigen in die Stadt, möglichst viele Leute zu treffen, auch ganz unterschiedliche. Das spannendste Gespräch war mit einem Stadtrat, der sehr skeptisch gegenüber dem Festival war und gesagt hat, er geht da auch nie hin. Und das habe ich als einen Ansporn gesehen, dass auch so jemand etwas finden könnte in diesem Fest. Ich habe immer versucht, das für die breite Gesellschaft zu machen.

AJ: Was sind die drei Höhepunkte aus Ihrer dreijährigen Zeit?

Warner: Ich denke oft an den Hoigarten im ersten Jahr. Den haben wir mit den Banater Schwaben, der kroatischen Mission und dem Oberbayerischen Trachtenverein Lechhausen gemacht. Da sieht man auch: Alle kommen von irgendwo her. Und das war einfach ein toller Abend. Er stand ein stückweit Pate für einen Theaterabend, den die Alevitische Gemeinde Lechhausen und die oberbayerischen Trachtler unabhängig vom Festival gemacht haben. Das hat mich sehr berührt. Ein Vorbild war dieser Hoigarten auch für den Tanzmarathon beim diesjährigen Festival. Ein weiterer Höhepunkt war für mich der Festakt in der alevitischen Gemeinde, im Hochzeitssaal. Den fand ich schon sehr, sehr belebend. Im zweiten Jahr war besonders für mich, dass wir den Kraftklub hier aufgebaut haben und man hier wirklich trainieren konnte, dass man Kunst sehen konnte. Aber auch Winnetou auf der Bühne, Alphörner und die verschiedenen Sport- und Kulturvereine hier aus Augsburg. Also immer dort, wo die Stadtgesellschaft zur Aufführung kommt. Es freut mich einfach, zu sehen, wie gut das angenommen wird. Und dieses Jahr freue ich mich sehr auf den Tanzmarathon.

AJ: Tanzen Sie selbst auch mit?

Warner: Ich werde ein bisschen mittanzen. Aber ich lege auch als DJ auf und habe einen ganz, ganz kleinen Part bei den Shows am Abend.

AJ: Gibt es Dinge, die Sie anders machen würden?

Warner: Ich habe das ganze als Lernprozess verstanden. Ich glaube, es wäre nicht durchführbar gewesen, aber manchmal wünsche ich mir, wir wären immer in Lechhausen geblieben.

AJ: Warum?

Warner: Es liegt natürlich daran, dass über dem Anfang immer ein Zauber liegt. Aber das Vereinsheim der oberbayerischen Trachtler und der Gemeindesaal der Aleviten, das war eine gute Kombi. Und dann hätte ich gern mehr Zeit hier in Augsburg verbringen wollen. Man merkt eigentlich erst nach drei Jahren, wie viele Kontakte man geknüpft hat. Und nach drei Jahren ist man an einem Punkt, wo man manche Dinge erst versteht. Auf der anderen Seite sind drei Jahre auch ein gutes Maß.

AJ: Letztes Jahr gab es Antisemitismusvorwürfe wegen einer von Ihnen unterschriebenen Resolution. Ist das noch ein Thema dieses Jahr?

Warner: Das wurde ja, glaube ich, von allen Seiten diskutiert und ich habe mich dazu auch positioniert. Und für mich ist diese Sache dann erledigt.

AJ: Sind Sie mit Ihren Nachfolgern Sahar Rahimi und Mark Schröppel im Austausch?

Warner: Nein, aber ich saß mit in der Jury für die Nachfolge der Brechtfestival-Leitung. Ich lerne sie aber erst wirklich auf dem nächsten Festival kennen. Da gibt’s dann auch eine kleine Übergabe. Aber ich sage mal so, ich bin total angefixt und habe mir das nächste Festival auch schon im Kalender angestrichen und möchte gern als Gast dabei sein. Anders als bei anderen Festivals bleibt bei uns ja die Struktur erhalten. Das ganze institutionelle Wissen ist im Brechtbüro, im Kulturamt. Aber darüber hinaus stehe ich mit Rat und Tat zur Seite.

Julian Warner: „Genau so sollte Heimat gemacht werden“

AJ: Machen Sie nochmal was in Augsburg?

Warner: Nein. Erstmal freue ich mich auf den Sommer und den Frühling. Und darauf, viel Zeit mit meiner Familie in Giesing, in München, zu verbringen. Dann werde ich Anfang Juli Premiere feiern mit einer Performance auf dem Belluard Festival in Fribourg (CH). Ich gehe quasi back to the roots und mache meinen eigenen Theaterabend als Performer.

AJ: Und es soll ein neues Fehler Kuti-Album geben, oder?

Warner: Genau. Ich habe auch im Lauf der letzten Monate gemerkt, dass ich in den drei Jahren, in denen ich hier bin, gar keine Musik mehr gemacht habe, und das will ich in der zweiten Jahreshälfte ändern. Und vielleicht gibt’s dann einen Tourstop in Augsburg.

AJ: Drei Jahre Brechtfestival: Welches Fazit ziehen Sie?

Warner: Ich hoffe, dass ich den Augsburgerinnen und Augsburgern zeigen konnte, dass es ihr Festival ist. Dass sie wirklich aus der Breite heraus agieren. Und ich hab mich immer gefreut, wenn jemand gekommen ist und gesagt hat: „Brechtfestival? Brecht sagt mir nichts, aber Festival klingt spannend.“ Das habe ich immer als eine Einladung verstanden, egal ob das in Lechhausen ist oder in der Ulmer Straße. Ich wünsche mir, dass das bleibt und die Augsburgerinnen und Augsburger neugierig sind auf die Neuen und vielleicht mit der Haltung an sie herantreten: „Hey, Mark , Hey, Sahar, was hecken wir jetzt zusammen aus?“ Das war mein Anspruch, das mit den Menschen hier zusammen zu machen. Dafür habe ich diese ganzen Gruppen immer wieder eingebunden. Dass ich mal Mitglied im Bayerischen Landesverein für Heimatpflege werde, hätte ich auch nie gedacht, und mich freut, dass die hier auf unser Festival auf die drei Jahre schauen und sagen: „Hey, genau so sollte Heimat gemacht werden.“ Und ich wünsche mir, dass dieser Spirit weiterlebt, wie auch immer. Ich denke, die Dinge müssen sich ändern, damit sie gleichbleiben.

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