„Daheim ist, wo deine Bücher wohnen“, sagt BookToker Simon Sturm scherzhaft. Aber im Ernst: Vier Billy-Regale voller Bücher stehen bereits im Wohnzimmer von ihm und Freund Phil (36). Aus diesen Regalen wandern die Geschichten, die der Augsburger liest, seine Begeisterung und Meinung dazu in die weite Welt – er rezensiert online Bücher. Vor allem auf TikTok, einem Social-Media-Netzwerk für Kurzvideos. Dort postet der 30-Jährige nicht nur Fan-Content („So sieht man aus, wenn sein Lieblings-Charakter stirbt“ – nämlich tränenüberströmt), sondern auch „Bookhauls“, in denen er stolz die Bücher in die Kamera hält, die er frisch gekauft hat. Und natürlich Buchrezensionen. Meistens sitzt er dafür allein vor einem Regal voller Bücher. Darin steht auch viel Deko: ein Efeuzweig, die Teekanne aus „Die schöne und das Biest“ und „Harry Potter“-Figuren mit riesigem Kopf.

Sturm stellt ein Stativ und sein Handy auf, drückt auf den Aufnahme-Knopf. Bei Rezensionen mache er sich vorher Gedanken, bei anderen lege er spontan los. Simon Sturm ist damit nicht allein: Unter dem Hashtag „BookTok“ sammeln sich auf TikTok aktuell 34 Millionen Beiträge. Nutzer berichten über Bücher, tauschen sich aus, zelebrieren ihre Fankultur. Auch Autoren mischen mit und verkaufen so ihre Werke.

Simon Sturm in seinem Element: Handy, Stativ, seine Bücherwand – mehr braucht er nicht für seine Videos.

„Wir arbeiten, wenn es geht, auch mit Autoren zusammen, die erst ihr Debüt geschrieben haben“, erklärt Sturm. Da kann es auch passieren, dass Schriftsteller sich bei ihm direkt melden: Wie Marah Woolf, die ihn fragte, ob er ihr neues Buch schon gelesen habe. Sie möge seine Inhalte. „Das war so ein Ober-Ritterschlag“, freut der Augsburger sich mit einem dicken Grinsen im Gesicht. Als Blogger könne man auch bei Verlagen Rezensionsexemplare anfragen. „Damit bin ich aber meistens überfordert, weil das dann unter Zeitdruck veröffentlicht wird.“ Im Moment kann er nicht direkt von BookTok leben.

BookToker Simon Sturm: Von „Simons bunter Bücherblog“ zu „Der Lesende Fuchs“ auf TikTok

Eigentlich wollte Sturm Buchhändler werden, hätte auch einen Ausbildungsplatz bekommen, es sich aber ausreden lassen. „Mein Stiefvater meinte, das ist kein Beruf für einen Mann.“ Stattdessen absolvierte Sturm eine Ausbildung im Einzelhandel und verkauft heute Brillen.

Aber die Leidenschaft für Bücher begleitet ihn bereits sein ganzes Leben: „Ich lese, seit ich sieben bin. Und ich habe dann gleich mit ‚Harry Potter‘ angefangen. Meine Mutter hat damals zu mir gesagt: ‚Lies zuerst das Buch, dann gehe ich mit dir in den Film.‘“ Auch heute noch greift er gern zu den Fantasy- und Jugendbuchklassikern wie „Harry Potter“, „Die Tribute von Panem“ oder „Tintenherz“. „‚Harry Potter‘ und ‚Tribute von Panem‘ haben mich immer schon am meisten angesprochen. Weil da ein bisschen Action dabei ist, ein bisschen Romance, ein bisschen Spice.“ „Spice“ ist unter Booktokern ein beliebter Begriff, um zu zeigen, wie viele und wie heiße Liebes- und Sexszenen in einem Buch vorkommen – und die TikTok-Zensur für „Sex“ zu umschiffen.

Neben Fantasy- und Romantasy liest Simon Sturm Bücher, auf die er durch andere Booktoker stößt. „Ich bin ja auch in der Blase, und wenn ein Buch da mega gehypt wird, werde ich hellhörig.“ Durch Hypes auf BooktTok wurde etwa „It Ends with us“ von Colleen Hoover Jahre nach Erscheinen millionenfach verkauft. Manchmal seien die Tipps ein Flop, oder richtig gut. Wie bei Acotar, der Reihe „A Court of Thorns and Roses“ der New York Times-Bestseller-Autorin Sarah J. Maas. Sie hat auf Booktok viele Fans und wird von den meisten nur noch unter dem Akronym „Acotar“ erwähnt. „Die habe ich gerade erst beendet. Teil eins habe ich seit 2016 erst immer wieder abgebrochen, aber dann die Reihe innerhalb von fünf Wochen gelesen.“

Auch im „realen Leben“ empfiehlt der Augsburger zum Beispiel seinen Freunden gern Bücher. Online angefangen hat er aber als klassischer Blogger. Zuerst mit „Simons bunter Bücherblog“. „Aber dann wollte ich etwas Einzigartiges. Füchse sind meine Lieblingstiere, so ist der Name ‚Der Lesende Fuchs‘ entstanden“, erklärt er mit einem Lachen. Nach dem Tier mit dem orangen Fell sind auch sein Instagram- und TikTok-Kanal benannt. Rezensionen schreibt er keine mehr, seit 2019 sei auch auf dem Blog nichts mehr los. Aber er plane, ihn auch mit den TikTok-Videos zu befüllen.

Bücher und Booktok als „Safe Space“ – aber Sturm klärt auch über „Dark Romance“ auf

Simon Sturm geht auf seinem Kanal hauptsächlich auf Bücher ein, aber auch auf Themen wie AfD-Wahlergebnisse und Lesen mit ADHS. Im Gespräch mit dem Augsburg Journal sagt er: „Für mich ist Lesen Abschalten vom ADHS. Gerade mit ADHS bin ich oft unter Strom, aber sobald ich ein Buch in der Hand habe, kann ich runterfahren. Bücher waren immer schon mein Safe Space“. Ein solch sicherer Ort ist auch die Gemeinschaft der Booktoker, aber wie überall gilt: „Man lernt sehr viele verschiedene Leute kennen. Leider auch ein paar toxische Arschlöcher.“ Blöde Reaktionen gebe es ständig auf seine Videos, auch wegen seiner sexuellen Orientierung. „Sinnvolle Kommentare lasse ich stehen, aber dumme Hetze, wie ‚dumme Schwuchtel‘ lasse ich löschen.“

Seine Familie, etwa seine Oma, finde gut, was er macht: „Sie findet es cool und sagt, ‚gelesen hast du schon immer gerne.‘ Nur meine Schwester macht sich manchmal über das Leselive lustig.“ Das ist kollektives stilles Lesen vor der Kamera. Danach wird über die gelesenen, verschiedenen Bücher diskutiert.

Sturm sagt, mit Gleichgesinnten tausche er sich via WhatsApp-Gruppe manchmal mitten in der Nacht über Bücher aus. Darüber habe er auch viele Booktoker aus München kennengelernt, in Augsburg gibt es sehr wenige. In München auf dem Stachus hat die Hugendubel-Filiale eine eigene “BookTok“-Fläche eingerichtet und ist auch viel auf TikTok aktiv. Dort hat Simon Sturm auch die Booktokerin „itsjessamess“ (über 500.000 Follower) getroffen. Das Video ihrer Begegnung namens „Fangirl moment“ ist mit das meist gesehene auf seinem Kanal. Simon Sturm hat 1225 Follower, aber wurde bereits in Augsburg angesprochen. Seiner Außenwirkung ist er sich bewusst. Neben dem Austausch ist dem 30-Jährigen eins wichtig: „Meine Begeisterung für Bücher nach außen tragen, auch an die jüngere Generation.“ Er will seine Follower, darunter viele Jugendliche, auch sensibilisieren.

Denn auf Booktok sind auch Bücher des Genres „Dark Romance“ sehr beliebt. „Im Zentrum der Handlung stehen meist komplizierte Beziehungen, die durch Machtgefälle, gefährliche Leidenschaften oder moralische Konflikte geprägt sind“, erklärt der Piper Verlag online. Sturm sagt: „Ich verstehe nicht, warum man solche Sachen romantisiert. Wie Stalking in ‚Haunting Adeline‘.“ In der Buchhandlung habe neulich eine Zwölfjährige das Buch in der Hand gehabt. „Ich hab ihr davon abgeraten. Ich musste einfach was sagen. Genau wegen solcher Dinge mache ich Buch-Content. Und ein Dark Romance-Buch hat in minderjährigen Händen nichts zu suchen.“

Gerade, aber nicht nur im Bereich Dark Romance sind auf Booktok viele junge Frauen aktiv. Und Simon Sturm. Für ihn kein Problem, „aber ich freue mich tatsächlich, dass es ein paar männliche Booktoker gibt.“

„Dark Romance“ sieht Simon Sturm kritisch. „Ich bin auch der Meinung, dass Bücher eine FSK-Freigabe brauchen.“

Wie Simon Sturm einmal 400 Euro im Bücherschrank verschenkte

TikTok ist auch eine visuelle App. Deswegen gebe es das Lager, dass Bücher wirklich lese. Anderen kauften sie nur. Auf Booktok werden auch spezielle Erstausgaben oder Farbschnitte, also Bücher mit außen bedruckten Seiten, gehypt. Davor ist auch Simon Sturm nicht gefeit, obwohl er auch viel auf dem e-Reader liest. Wenn er auch eine schmerzhafte Lektion hatte: „Ich habe selbst eine Farbschnitt-Ausgabe von Acotar in einen Bücherschrank gestellt, ohne zu wissen, dass die inzwischen 400 Euro wert ist. Das tat ein bisschen weh, als ich es herausgefunden habe.“

Lesen ist ein teures Hobby, sagt der Augsburger. Er lasse sich Bücher neben dem Kauf zum Geburtstag schenken oder greife auf Rebuy, Flohmärkte oder Mängelexemplare zurück. Hauptsache, vollständige Reihen im Regal. Manchmal kaufe ihm sein Freund auch Bücher. Auch wenn dessen Verständnis Grenzen hat: „Wenn ich mit sechs neuen Büchern an der Kasse stehe, sagt er manchmal: ‚So viele Bücher kannst du gar nicht lesen in diesem Leben‘“, erklärt Sturm lachend.

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