Filmproduzent Michael Kalb tourt mit neuem Film „SHAHID“ durch die Kinos

Michael Kalb in der „Produzentenkluft“. Am Mitanpacken hindert ihn das nicht.

Fahrrad, T-Shirt, Schlappen: Michael Kalb (34) entspricht nicht dem Klischee, das man von einem Filmproduzenten und -regisseur („SHAHID“) hat. „Ich fand es schön, dass man sagt, es ist untypisch, dass ich beim Aufbauen überall mithelfe und nicht diese Allüren habe“, sagt er. Mitanpacken und abends länger auf ein Bier zusammensitzen fürs gute Teamklima: Dieser Zugang, denkt Kalb, komme daher, dass er nicht aus einem Filmumfeld kommt. Vor der Hochschule für Fernsehen und Film München (HFF) hatte er ein Studium in Wirtschaftsinformatik in Augsburg abgeschlossen, von dem er heute noch mit Finanz- und Technikverständnis profitiere. Und hätte er diese Richtung weiter gewählt, würde er heute im Anzug als Unternehmensberater arbeiten. Aber mit der Zusage für die Film-Uni entschied er sich für diese. „Und ich habe es bisher noch nicht bereut.“

Auf dem Roten Teppich ist Michael Kalb auch zu finden. Sein Spielfilm „SHAHID“ (Regie: Narges (Shahid) Kalhor) wurde auf der diesjährigen Berlinale mit zwei Preisen ausgezeichnet. „Natürlich ist es eine Ehre, dass man mit dem Film auf der Berlinale läuft. Ich meine, es ist eines der bekanntesten Filmfestivals.“ Für ihn als Produzenten – er produziert Filme, achtet auf die richtige Umsetzung, Finanzierung, Marketing, Verkauf – aber nochmal speziell, denn es war „super aufregend“, andererseits etwas desillusionierend, weil es ein Riesengeschäft und für viele ein riesiges Schaulaufen sei. „Und bei über 200 Filmen ist es auch ein Wettbewerb oder ein Kampf um die Aufmerksamkeit. Und anstrengend.“

Auf dem Roten Teppich: Auf der Party der Bavaria Studios im Rahmen des Filmfests München (von links): Michael Kalb mit den Regisseuren Narges Kalhor und Alexander Löwen.

Neben den nackten Zahlen muss Kalb in seinem Job allgemein gut mit Menschen können: „Man ist ein bisschen Everybody‘s Darling und man muss viel kommunizieren und mit Leuten reden.“ Dafür kann er inhaltlich-kreativ bei den Filmen mitwirken. Neben der Berlinale kann Kalb einiges vorweisen: Schwäbischer und Bayerischer Jugendfilmpreis als Jugendlicher, der Abschlussfilm „Saudade“ (2019) wurde auf dem internationalen Dokumentarfilm-Festival in Amsterdam ausgezeichnet. „Solastalgia“ eröffnete 2022 die Reihe „Neues Deutsches Kino“ auf dem Filmfest München, in dessen Rahmen Kalb für den Nachwuchsproduzentenpreis nominiert war.

Filmproduzent Michael Kalb: Die Erfolge auf den Festivals tragen Früchte

Seine Erfolge und die Präsenz auf den Filmfestivals freuen ihn und tragen Früchte: „Was mich freut: Dass Dinkelscherben und Augsburg mittlerweile in der Münchner Filmblase angekommen sind. Dass viele mich kennen. Und dass ich mittlerweile keine Akquise mehr mache, sondern regelmäßig Leute mit Ideen auf mich zukommen, Fernsehsender, Redakteure mich kennen, teilweise empfehlen und ich mir ein bisschen aussuchen kann, was ich mache.“

Kalbs Filme behandeln keine leichten Themen: Atomkraft, das einzige russisch-orthodoxe Frauenkloster Deutschlands, arrangierte Ehen. Bewusst suche er sich das nicht aus, es komme auf ihn zu. „In dem Metier, in dem ich mich bewege, im Debütfilmbereich, von jungen Filmschaffenden, ist man noch experimentierfreudiger.“ Das bringt zwar selten Millionen Zuschauer oder Ergebnisse fürs Vorabendprogramm der Öffentlich-Rechtlichen. Dafür finde er es viel spannender, solche Filme zu machen. „Und das sind durchaus Filme, die in der Festival- und Filmbranche wahrgenommen werden.“ Wichtig sei ihm, dass man über seine Filme nachdenkt und sie in einem weiterarbeiten.

Und sein aktueller Film „SHAHID“? „Es ist kein Film, der nach der klassischen Heldenreise geht, mit Anfang und Happy End und Verfolgungsjagd. Sondern man muss sich herausfordern und was Neues ausprobieren. Das war das Schöne bei dem Film.“ Mit ihm tourt er durch die deutschen Kinos und beginnt am 1. August um 20 Uhr im Augsburger Liliom. Nicht nur aus lokaler Verbundenheit: „Ich finde, dass Augsburg ein cooles Kinopublikum hat, das offen ist für andere Projekte und vor allem für diesen Lokalbezug.“

„SHAHID“ wurde auch in Augsburg gedreht

„SHAHID“ wurde, neben München, den Bavaria Filmstudios und Wiesbaden, in Augsburg gedreht: Dort bei der Kreativ- und Digitalagentur „Heimspiel“, in der Straßenbahn und im „Hallo Werner“. „Ich hatte hier mit der SWA super offene, unkomplizierte Leute und am Ende waren alle happy. Und statt der U-Bahn in München, wie im Drehbuch, wurde es die Straßenbahn in Augsburg. Das funktioniert im Film genauso.“ Augsburg biete kurze Wege, und ist „noch nicht so eine überlaufene Filmstadt“. Dass Schwaben als Region noch unterrepräsentiert sei in der bayerischen Filmwelt, finde er zwar schade. Aber vielleicht sei das der Vorteil: „Hier sind Filmen und Dreharbeiten noch etwas Besonderes und machen noch mehr Spaß.“

Den lokalen Bezug schätzte der gebürtige Dinkelscherbener bereits bei seiner Arbeit als Redakteur und Moderator für a.tv: „Was ich schön fand bei a.tv oder generell im Lokaljournalismus und jetzt auch bei Dokumentarfilmen ist, wie ehrlich Menschen sind und wie sehr die sich noch ernst freuen, wenn man über sie berichtet und über ihre Hobbys.“

Beim Dreh für „Die letzten Zeitzeugen“: Darin berichten Menschen von hier aus der Zeit zwischen 1920 und 1950. Von links: Zeitzeuge Karl Hinterstößer (wurde heuer 99 Jahre alt), Christoph Lang, heute Bezirksheimatpfleger, damals historische Begleitung des Projekts, Michael Kalb.

Ihm ist wichtig, Filme über Dinge zu machen, bei denen er sich auskennt. Bei den „letzten Zeitzeugen“, in denen Menschen von ihren Erfahrungen in der Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs berichten, fing er in Dinkelscherben an, weil er bereits ein paar der Personen kannte.

Filme waren immer schon die Leidenschaft des 34-Jährigen: „Ich wollte mit fünf Schauspieler werden. Denn ‚Indiana Jones‘ war mein erster Spielfilm. Dann habe ich mit meinem Bruder und der Kamera von meinem Vater ‚Jackass‘ nachgedreht. Und ich habe gemerkt, zu organisieren und zu inszenieren hat mir mehr Spaß gemacht, als vor der Kamera zu stehen. Und ich habe im Gymnasium Kurzfilme gemacht. Auch wenn alle sich in der Oberstufe mit Bier beim Schulfest besoffen haben, war ich der Nerd, der mit der Kamera das Schulfest gefilmt hat und die DVDs davon vertickt. Ja, da hat es sich stark hin entwickelt.“

Filmemachen wurde vom „intensiven Hobby“ zum Beruf

Er verfolgte das Filmen als „intensives Hobby“ weiter. Mit Erfolg: „Der Bayerische Jugendfilmpreis hat mich schon motiviert. Da habe ich gemerkt, es wird jetzt auch außerhalb meines Dorfes wahrgenommen.“ Und diese Erfahrungen haben ihm bei der Bewerbung an der Filmhochschule geholfen. Obwohl er nicht der Sohn von Filmgrößen ist: „Ich habe mich immer so ein bisschen als der Außenseiter in der HFF gefühlt, hatte meine Freunde, die auch von außerhalb Münchens und dem Dorf kamen und habe am Anfang gedacht, ich habe einen Rückstand.“ Aber es klappte trotzdem.

Heute würde Kalb nicht sagen, dass er jetzt berühmt ist. „Dinkelscherben ist ein Dorf, da wissen die meisten, was ich tue, zumindest grob. In Augsburg hält es sich in Grenzen. In München bewegt man sich in einer Bubble. Ich würde sagen, dass man mich kennt und weiß, was ich tue. Aber berühmt auf keinen Fall und das würde ich nicht sein wollen. Ich beneide diese Leute nicht, die nirgends mehr hingehen können, ohne erkannt zu werden. Die haben nie ihre Ruhe.“

Michael Kalb im „Weißen Lamm“ in Augsburg – einem seiner Lieblingsorte in der Fuggerstadt.

Die findet er in seinen Lieblingslocations: Wie dem „Weißen Lamm“, neben dem er vier Jahre lang gewohnt hat. „Einer der unkompliziertesten Clubs in Augsburg“, schwärmt Kalb. „Da kommt jeder rein. Ein total gemischtes Publikum und musikalisch kann ich meist etwas damit anfangen.“ Unweit der Wohnung, wo er ein kleines Büro hat und die er mit Freundin Theresa und Sohn Friedrich bewohnt, spaziert er gern über die Kanalstege beim Brechthaus. „Ich dachte mir, wer hier wohnt, hat Glück.“ Sie lebten gerne in der Wohnung – aber die junge Familie würde sich über Tipps zu einer Wohnung oder ein Haus mit etwas Grünfläche freuen.

Warum er Augsburg den Vorzug gibt – und Hollywood kein Ziel von Michael Kalb ist

Und München? „Mein ganzer Freundeskreis ist in Augsburg, meine Familie wohnt teilweise in Dinkelscherben. Ich finde Augsburg nach wie vor superschön. Ich bin gerne da und die Anbindung an München ist perfekt. München war nie ein Thema und ich denke es wird keins sein, denn ich finde es erdend, nach Augsburg zu kommen. Aus München und der Bubble raus.“ Die Meinung von Freunden, die nichts mit der Filmwelt zu tun haben, tue gut: „Das ehrlichste Feedback kommt von Freunden, wenn man ihnen den Schnitt vom Film zeigt und die pennen nach einer halben Stunde ein – dann weiß ich am ehrlichsten, es funktioniert nicht.“

Deswegen reize ihn Hollywood als Ziel weniger. Was er von Anderen mitbekommen habe, zeige: „Es ist ein Haifischbecken. Es ist noch ein krasserer Wettbewerb. Und mit den Filmen, die ich mache, die keine Millionenbudget-Produktionen sind, würde mir das keinen Spaß machen.“ Er verbrachte zwei Auslandssemester in den USA und war für ein Studienprojekt in Brasilien. Woanders drehen, gerne. Auch, um festzustellen, wie gut es einem in Deutschland geht. Aber seine Basis ist hier.

Michael Kalb fühlt sich wohl in Augsburg. Und die Augsburger können sich schon auf kommende Projekte des Produzenten freuen.

Hier kann er vom Filmemachen und seinem Job als Mitarbeiter an der Filmhochschule München leben. „Ich finde es super, denn es ist ein geregeltes Einkommen, sodass ich ungezwungen Filme machen kann. Aber ich würde sagen, für ein Leben in München wird es auf keinen Fall reichen. Und ich denke mir, wenn ich keinen Spaß mehr an Filmen habe, dann gehe ich zurück zur Wirtschaftsinformatik oder dauerhaft an die Uni in den öffentlichen Dienst.“

Wegen der Geburt seines Sohnes dieses Jahr hat sich Kalb auf drei statt fünf Produktionen im Jahr beschränkt. Für nächstes und übernächstes Jahr bahnen sich die nächsten Projekte an. „Nicht mehr nur Dokumentarfilm, sondern auch Spielfilm, wo die Budgets langsam größer werden. Und dann schauen wir mal – wenn wir in zwei Jahren sprechen, sind wir vielleicht in dem Rahmen, wo man sehr gut davon leben kann.“

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