Chirurg und Organspende-Verfechter Prof. Matthias Anthuber
Klare Ziele setzen. Gute Wege finden, diese zu erreichen. Und all das mit Disziplin und Durchhaltevermögen. Diese Tugenden kennt Prof. Matthias Anthuber seit seiner Jugend als Leistungssportler im Handball, wo er es bis in die Nationalmannschaft geschafft hat.
Die vergangenen 40 Jahre nutzten sie ihm vor allem als Leistungssportler in der Medizin. Seit 2004 profitieren Patienten am Universitätsklinikum Augsburg (UKA) von seinen Fähigkeiten als Chef der Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie sowie Leiter des Darmkrebszentrums.
„Der Leistungssport hat mir viel geholfen in meinem Beruf. Auch dabei, mit Niederlagen umzugehen“, so der leidenschaftliche Arzt, der am 24. Januar seinen 66. Geburtstag feiert. Wenn er Mitte des Jahres an seine Nachfolgerin Prof. Katharina Beyer, Chefärztin an der Berliner Charité, übergibt, hat er wahnsinnig vielen Menschen das Leben gerettet. Rund 600 Organe wurden von ihm persönlich – oder zumindest in seinem Beisein – verpflanzt, schätzt der gebürtige Niederbayer aus Simbach am Inn. Das Thema Organtransplantation faszinierte ihn schon seit seinen Anfangszeiten als Student im Praktischen Jahr. Anthuber: „Ich war 26 Jahre alt, als ich in der Herzchirurgie in München Großhadern bei meiner ersten Herztransplantation dabei war. Als ich den Patienten vorher und nachher gesehen habe; das Organ, als es ankam, „eingebaut“ wurde und von Blut durchströmt wieder anfing zu schlagen – da wurde mir bewusst: Das ist eine der größten Errungenschaften der modernen Medizin!“
Prof. Matthias Anthuber mit einer Box, in der gespendete Organe angeliefert werden – leider viel zu wenige für den aktuellen Bedarf.
Seitdem ficht er einen jahrelangen Kampf für eine höhere Organspendenbereitschaft in der deutschen Bevölkerung aus. Gewonnen hat er ihn nicht, konstatiert er zum Ende seiner Karriere hin. „Da hätte ich mir mehr erwünscht. Während in Spanien 40 Menschen pro einer Million Einwohner Organspender sind, zählen wir in Deutschland aktuell nur 10 Bereitwillige unter einer Million.“
Die Gründe hierfür liegen freilich nicht nur an weniger Bereitschaft, sondern auch an positiven Faktoren wie der zunehmenden Sicherheit auf unseren Straßen; weniger Unfällen beim Sport – „früher hatten wir regelmäßig Reitunfälle mit tödlichem Ausgang – heut fast keine mehr, Gott sei Dank!“, so der Transplantationsmediziner. Dennoch liegt Deutschland in der Bilanz der Länder weit hinten.
Zwar tut sich derzeit wieder politisch etwas – die sogenannte „Widerspruchsregelung“, also bei Personen, die nicht aktiv widersprechen geht man von einer Zustimmung zur Organspende aus, kocht gerade wieder hoch. Doch das allein löst bestimmt nicht alle Probleme, stellt Anthuber fest: „Informieren, überzeugen, nicht überreden – das ist meine Devise seit 30 Jahren. Wir müssen den Menschen die Angst vor der Organspende nehmen.“
Deswegen war der Chef persönlich auch unzählige Male in Schulen unterwegs, um junge Menschen zu erreichen. „Wir haben es durch Intervention im Kultusministerium vor fünf Jahren geschafft, das Thema Organspende in Bayern obligatorisch in den Unterricht zu integrieren, es ist im Lehrplan bei Biologie oder Ethik angesiedelt. Das macht Sinn und wird über die Jahre viel bringen.“ Ganz im Gegensatz zu sämtlichen Vorschlägen, die Annalena Baerbock vor vier Jahren – damals noch als Grünen-Vorsitzende – nach damaliger Ablehnung der Widerrufsregelung vorgeschlagen hat. Von einem großen nationalen Online-Register über die Abgabe – und Aufklärung – seitens öffentlicher Ausweisstellen bis zur Idee, die – ohnehin zeitlich am Limit arbeitenden – Hausärzte mögen ihren Patienten doch das Für und Wider eines Organspendeausweises ausführlich erläutern. „Mit Verspätung von drei Jahren hat nur die Einführung des Organspenderegisters funktioniert, alles andere ist gescheitert. Was aber schon im Vorfeld völlig klar war“, resümiert Anthuber ohne Zorn – aber doch mit einem gewissen Groll.
Augsburger des Jahres: Zum Ausgleich Golf mit „alten Handballern“
Wenn sich der langjährige Chefarzt zur Jahresmitte in den Ruhestand verabschiedet, hat er mehr Zeit für seine Familie, wobei die drei erwachsenen Kinder und Ehefrau Ute doch sehr selbständig scheinen. Ein verlockender Gedanke könnte aber sein, öfter als einmal pro Woche Zeit für die sportliche Leidenschaft zu haben, die das Thema Handball alters- und verletzungsbedingt schon eine ganze Weile abgelöst hat: Golf!
Der grüne Sport, den er als Single-Handicapper virtuos beherrscht, betreibt er schon seit vielen Jahren – auch gemeinsam mit seinen Handball-Kumpels von früher, von denen einige Weltmeister oder Medaillengewinner bei Olympischen Spielen sind. „Blacky Schwarzer ist einer von ihnen. Oder auch Stefan Kretzschmar, bekannt durch die Beziehung zu Franzi van Almsick, spielt oft mit. Die Handball-Truppe trifft sich drei- bis viermal im Jahr zum Golfen. Seit 15 Jahren spielen wir einmal im Jahr einen „Ryder-Cup“ gegen die Kollegen aus dem Profi-Fußball, erst neulich wieder auf Mallorca. Da waren zum Beispiel schon Karl-Heinz Riedle, Stefan Reuter oder Bernd Schuster mit dabei.“
Aus seiner Profi-Zeit kennt Matthias Anthuber nicht nur den Augsburger Erfolgs-Coach Jörg Löhr – „wir haben beide miteinander in der bayerischen Auswahl und gegeneinander in der Bundesliga gespielt“ – sondern natürlich auch die Augsburger Handball-Legende: Erhard Wunderlich. „Wir haben zusammen im deutschen Nationalteam gespielt. Wobei ich da nur zweimal dabei war. Ich war am Ende des Medizinstudiums und kam mit dem damaligen Bundestrainer Vlado Stenzel damals nicht so gut klar. Wobei sich das Verhältnis entspannt hat. Neulich habe ich ihn an seinem 90. Geburtstag mit meinen Handball-Freunden aus der 78er WM-Mannschaft in Kroatien besucht“, so Anthuber.
Damals – die Handball-Nationalmannschaft aus der Saison 1981/82 mit Erhard Wunderlich.
Heute – Bundestrainer Vlado Stenzel (li.) sowie zwei Parallelen zum siegreichen Ryder-Cup Team (v.li.) Christian „Blacky“ Schwarzer, Matthias Anthuber, Martin Schwalb, Stefan Kretzschmar, Ludwig Gaydoul, Pascal „Pommes“ Hens (auch „Let’s dance“-Sieger), Gerd Rosendahl, Daniel Stephan (Welthandballer 1998), Carlos Lima (grünes Cappy, Schweizer Handballlegende), dahinter die Zwillingsbrüder Uli und Michael Roth sowie Thomas Krokowski.
Im Nachhinein muss man froh sein, dass es so gekommen ist. Sonst wäre Matthias Anthuber vielleicht Handball-Profi geworden statt Menschenretter – mit Sendungsbewusstsein für das Thema Organspende, das ihn ganz bestimmt auch in seinem Ruhestand niemals ganz in Ruhe lassen wird.
Dreifache Boxweltmeisterin „Tiny“ Tina Rupprecht
Ein besseres Jahr zu erleben als Tina Rupprecht 2024 ist aus objektiven Gesichtspunkten beinahe unmöglich. Im Januar holte sich die Augsburgerin den Weltmeistertitel im Atomgewicht, im Juni heiratete sie ihren Verlobten Markus Fritschi und am 23. November schließlich schrieb sie endgültig Geschichte. Durch ihren Sieg im Vereinigungskampf über die Japanerin Eri Matsuda hält Tiny Tina die Gürtel von drei der vier größten Weltverbände und zudem den Titel des Ring Magazine, der nur vergeben wird, wenn die beiden besten Boxer einer Gewichtsklasse gegeneinander kämpfen. Der einzige deutsche Boxer, dem diese Ehre jemals zuteil wurde, war Max Schmeling 1930. Klar, dass mit diesem Resümee niemand anderes für den Titel als unsere Augsburgerin des Jahres in Betracht kam.
Im Interview spricht die 32-Jährige über ihr unglaubliches Jahr und warum 2025 vielleicht sogar noch besser werden könnte.
Augsburg Journal: Erst einmal Gratulation zu Ihrem unglaublichen Sieg! War 2024 das beste Jahr Ihres Lebens – mit dem ersten WM-Kampf im Januar, Ihrer Hochzeit im Sommer und dem Vereinigungskampf im November?
Tina Rupprecht: Wenn man von diesen Ereignissen ausgeht, war es wirklich ein unglaubliches Jahr. Es wird schwer, das zu toppen – wobei nächstes Jahr, wenn ich die Undisputed Championess werde und unsere Hochzeit nochmal größer feiere, könnte es vielleicht sogar noch besser werden. Aber ja, 2024 war einfach bombastisch.
AJ: Nehmen Sie uns doch einmal mit in Ihr Jahr 2024. Sie haben das Jahr ohne WM-Titel begonnen – wie war das für Sie?
Rupprecht: Ehrlich gesagt bin ich ziemlich unentspannt ins Jahr gestartet. Während alle die Feiertage, Silvester und Weihnachten genossen haben, war ich mitten in der Vorbereitung auf den WM-Kampf am 13. Januar. Das war nicht einfach, aber es hat sich gelohnt. Nachdem ich den Titel wiedererobert hatte, war für mich klar: Ich will mehr. Titelverteidigungen hatte ich schon oft, das war mittlerweile fast Routine. Ich wollte eine Titelvereinigung – und die hat es dann auch gegeben. Der Weg dorthin war jedoch alles andere als einfach. Es hat Monate gedauert, bis alles organisiert war: Gegnerin, Veranstaltung, Verbände – das sind unzählige Faktoren, die zusammenpassen müssen. Aber am Ende hat alles funktioniert und ich konnte meinen Wunschkampf bestreiten.
AJ: Zwischen Januar und dem großen Kampf im November lag eine lange Pause. Wie haben Sie diese Zeit genutzt?
Rupprecht: Es mag wie eine Pause aussehen, aber für mich bedeutete das vor allem Training. Ich wusste, dass der Kampf im Herbst geplant war, ursprünglich für Oktober. Deshalb habe ich im August – sogar schon während unseres Afrika-Urlaubs – intensiv trainiert. Ich habe sogar auf Campingplätzen oder in kleinen Dörfern meine Runden gedreht. Es war manchmal echt witzig: Kinder haben mich einfach barfuß begleitet, und ich habe mich ein bisschen wie im Film „Ali“ gefühlt, wenn Will Smith mit den Kids trainiert. Es war anstrengend, aber auch eine besondere Erfahrung. Danach folgte die ganz normale Vorbereitung auf den Kampf mit Ausnahme dessen, dass ich mit meinem Trainer Alexander Haan zum Trainingslager nach Usbekistan geflogen bin.
AJ: Wie hat es sich angefühlt, am Tag nach dem Kampf als erfolgreichste deutsche Boxerin aufzuwachen?
Rupprecht: Es war ein unbeschreibliches Gefühl, aber ich bin immer noch einfach ich. Natürlich bin ich stolz, aber es fühlt sich irgendwie unwirklich an. Es ist der Lohn für 20 Jahre harte Arbeit – nicht nur für die letzten Monate der Vorbereitung, sondern für alles, was ich in den Sport investiert habe.
AJ: Was war Ihr erster Gedanke nach dem Sieg?
Rupprecht: Da denkt man gar nichts mehr. Es ist einfach ein emotionaler Moment, voller Freude und Erleichterung. Ich musste ein paar Tränen verdrücken – es war pure Glückseligkeit.
AJ: Wie entspannen Sie sich nach diesem intensiven Jahr?
Rupprecht: Ich genieße die Zeit mit Familie und Freunden, die ich in den letzten Monaten kaum gesehen habe. Dazu kommen viele Pressetermine, was ich aber auch als Wertschätzung sehe. Und in der Weihnachtszeit mache ich Dinge, die sonst zu kurz kommen: Plätzchen backen, die Wohnung dekorieren – solche kleinen Dinge sind für mich der perfekte Ausgleich.
AJ: Wie haben Ihre Schülerinnen und Schüler in der Realschule reagiert, als Sie nach dem Kampf zurückgekehrt sind?
Rupprecht: Da wartete eine große Überraschung auf mich! Ein Kollege hat ein riesiges Banner von meinem Kampf in Heidelberg mitgebracht. Das haben sie dann in der Aula aufgehängt, und während der ersten Pause gab es eine kleine Feier. Sie hatten ein Podest aufgebaut, Musik gespielt und mir Blumen überreicht. Einige Fünftklässler hatten sogar Fragen vorbereitet, die sie mir gestellt haben. Das war super süß und hat mich wirklich berührt. Damit hatte ich gar nicht gerechnet.
AJ: Wie haben Sie diesen Erfolg mit Ihrem Mann gefeiert?
Rupprecht: Wir genießen es einfach, mal ohne den Druck eines bevorstehenden Kampfes Zeit miteinander zu verbringen. Über Weihnachten geht’s nach New York – das ist unser Highlight zum Jahresabschluss.
Augsburger des Jahres: Ich hoffe, dass Frauenboxen populärer wird
AJ: Sie haben viel für das Frauenboxen getan. Wie sehen Sie die Entwicklung in Deutschland?
Rupprecht: Ich hoffe wirklich, dass das Frauenboxen in Deutschland weiter an Popularität gewinnt. Ich kann natürlich meinen Teil dazu beitragen – und ich glaube, das habe ich auch schon getan. Es wäre aber wünschenswert, dass große TV-Sender solche historischen Kämpfe einem breiten Publikum zugänglich machen. Nicht unbedingt jeden Kampf, sondern solche Highlights, die auch die Bedeutung des Sports zeigen. Ich hoffe einfach, dass wir gemeinsam daran arbeiten können, das Boxen wieder sichtbarer zu machen, damit es für die kommende Generation leichter wird.
AJ: Sie haben mittlerweile sogar einen eigenen Podcast. Wie kam es dazu?
Rupprecht: Der Podcast ist in Kooperation mit meinem Sponsor Echion entstanden. Wir hatten die Idee, etwas Neues zu machen – und so ist der Podcast gestartet. Im Dezember erscheint die dritte Folge. Es macht mir großen Spaß, auch auf diese Weise meine Leidenschaft für den Sport zu teilen.
Hart im Ring – sanft zum Göttergatten: Tina heiratete im Juni 2024.
Champion „Tiny“ Tina Rupprecht hat, wie keine Frau zuvor, drei WM-Titel – und arbeitet jetzt auf den vierten hin.
Duften die Gürtel auch einmal halten – AJ-Chefredakteurin Anja Marks-Schilffarth und Redakteur Johannes Kaiser mit „Tiny“ Tina Rupprecht.
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