Als Halle-Attentäter hat Stephan B., inzwischen wegen Doppelmordes verurteilt, fragwürdige Bekanntheit erlangt. Nun soll er zu einer größeren Zahl Betroffener zählen, die Strafantrag wegen Folter gegen Justizmitarbeiter des Gablinger Gefängnisses gestellt haben. Der rechtsextreme Täter hatte im Oktober 2019 versucht, eine Synagoge in Halle zu stürmen, um dort versammelte Menschen zu töten. Als dies misslang, erschoss er zwei Menschen auf der Straße. Er wurde gefasst und 2021 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Seitdem ist der Mörder, der als hochgefährlich gilt, in deutschen Haftanstalten unterwegs.

Wie zu hören ist, „teilen“ sich mehrere Anstalten aus verschiedenen Bundesländern die Aufgabe, den zur Tatzeit 27-Jährigen zu arrestieren. Offenbar kam B. auf seiner Tour 2023 auch in Gablingen in eine Zelle. Jedenfalls soll aus seinem Umfeld laut eines Medienberichts Strafanzeige gegen das örtliche Justizpersonal wegen Folter und wegen des Verstoßes gegen die Menschenrechtskonvention gestellt worden sein.

Gablingen und Folter – Andreas Dobler, Sprecher der Augsburger Staatsanwaltschaft, erklärt: Nach dem Bekanntwerden der ersten Vorwürfe gegen die stellvertretende Gefängnisleiterin und später gegen weitere Angehörige der Anstalt sei eine Vielzahl von Beschwerden bis hin zu Strafanzeigen erstattet worden. Diese würden derzeit von der Kriminalpolizei geprüft, wo auch die Akten liegen. Laut Dobler mache die Staatsanwaltschaft keine Angaben zu Einzelheiten in dem laufenden Verfahren, auch nicht zu Anzeigen einzelner Personen wie Stephan B.. Die Augsburger Staatsanwaltschaft hatte das Gablinger Gefängnis mehrfach durchsucht und dabei mögliche Beweise sichergestellt.
Was durch die Beschwerde eines einzelnen Häftlings und dessen Verteidigerin im Oktober bekannt wurde, Missbrauch, Foltervorwürfe, ist unterdessen „ganz oben“ im Bayerischen Justizministerium angekommen.

Staatsminister Georg Eisenreich (CSU) erklärte kürzlich: „Die im Raum stehenden Vorwürfe im Zusammenhang mit der JVA Augsburg-Gablingen sind gravierend.“ Gewalttätige Übergriffe auf Gefangene und die rechtswidrige Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum dürfe es in einem Rechtsstaat nicht geben. Wenn Straftaten im Amt begangen wurden, würden diese mit aller Konsequenz strafrechtlich verfolgt und mit aller Konsequenz dienstrechtlich belangt.

Nach den Ermittlungsmaßnahmen der Staatsanwaltschaft Augsburg in der JVA Gablingen wurden laut Ministerium mehrere Maßnahmen ergriffen: Eisenreich hat eine abteilungsübergreifende „Task Force“ im Justizministerium eingesetzt, die derzeit die interne Aufarbeitung im Ministerium und der JVA mit Hochdruck voranbringt. Es wurde ein Betretungsverbot für alle Beschuldigten und ein vorläufiges Verbot der Führung der Dienstgeschäfte ausgesprochen sowie ein Disziplinarverfahren bei der Generalstaatsanwaltschaft München eingeleitet. Insgesamt 17 frühere Mitarbeiter des Gefängnisses sind von dieser Maßnahme betroffen, allen voran die stellvertretende und die leidende Gefängnischefin.

Augsburg-Gablingen: Eine neue stellvertretende Leiterin wurde eingesetzt

Es wurde eine neue stellvertretende Leiterin kommissarisch eingesetzt. Die vormalige Leiterin der JVA sei vorläufig vom Dienst freigestellt worden, „um die Aufklärung des Sachverhalts zu erleichtern.“ Sie sei aber weder Beschuldigte eines Ermittlungsverfahrens noch werde gegen sie ein Disziplinarverfahren geführt.

Die Berichtspflichten an das Ministerium wurden verschärft. In der JVA Augsburg-Gablingen ist bis auf weiteres jede Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum ab dem ersten Tag der Anordnung berichtspflichtig.

Vor allem gibt es den Vorwurf an Justizmitarbeiter, dass Häftlinge in „besonders gesicherten Hafträumen (BgH)“ misshandelt worden sein könnten. Dabei handelt es sich um solche Zellen, in denen suizidgefährdete oder gewalttätige Häftlinge normalerweise vorübergehend untergebracht werden. Einige von ihnen hätten aber deutlich länger als notwendig dort verbringen müssen. Zudem seien sie nackt gewesen und hätten nicht einmal eine Matratze gehabt, um sich schlafen legen zu können.

Darf man einen Kontrapunkt in dem sehen, was Kulturstaatsministerin Claudia Roth jetzt, fünf Jahre nach dem Halle-Attentat durch „Folter-Opfer“ Stephan B., schreibt? „Auch fünf Jahre nach dem Anschlag in Halle sitzt der Schock immer noch tief. Es darf nicht sein, dass Jüdinnen und Juden in Deutschland Angst haben, Gottesdienste zu besuchen oder auf andere Weise öffentlich sichtbar zu sein. Und doch ist genau das auch heute traurige, beschämende Realität.“ Es zeige sich, wie notwendig der Kampf gegen alle Formen des Antisemitismus sei. „Dafür brauchen wir die volle Härte des Rechtsstaates, dafür müssen wir allen geistigen Brandstiftern entgegentreten, die versuchen, unsere Verantwortung für das Menschheitsverbrechen des Holocaust zu relativieren.“

Das menschenverachtende Weltbild des Täters von Halle von vor fünf Jahren war laut Roth eine krude Mischung aus Antisemitismus, Muslimfeindlichkeit, Rassismus und Frauenfeindlichkeit. „Sein zweites Ziel, den Kiez-Döner, wählte er, weil er dort muslimische Menschen vermutete. Die Logik des Rechtsextremismus richtet sich gegen alles, wofür wir als offene Gesellschaft stehen – gegen ein friedliches Zusammenleben in Vielfalt und Würde. Wer gegen Jüdinnen und Juden, gegen Musliminnen und Muslime hetzt, wer Hass sät, der ruft damit Gewalt hervor. Der Kern unseres demokratischen Zusammenlebens ist der unbedingte Schutz der Würde des Menschen – jedes Menschen. Dafür brauchen wir ein friedliches Zusammenleben in Vielfalt und Respekt der Unterschiedlichkeit. Wir alle müssen, im Kleinen wie im Großen, dem Hass und der Ausgrenzung von Menschen entgegentreten. Das kann uns nur gemeinsam gelingen.“

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