Missbrauch: Immer mehr Austritte
Bis zu einer halben Million Menschen haben in den vergangenen Jahren die katholische oder evangelische Kirche verlassen. Gut möglich, dass es heuer noch mehr werden – so viele, wie noch nie: Unverkennbar im Zusammenhang mit der Veröffentlichung eines Gutachtens über Missbrauchsfälle in Erzbistum München-Freising melden mehrere Standesämter Rekord-Austritte. Zwar ist auch in Augsburg viel los, Extra-Schichten wie in München werden hier aber nicht gefahren.
Konkreter Anlass der Austrittswelle ist, so heißt es, das dieser Tage vorgelegte Gutachten mit mehr als 1800 Seiten, auf denen Missbrauchsfälle im Nachbarbistum aufgearbeitet werden. Dabei weisen die Autoren selbst Kardinal Reinhard Marx sowie seinen Amtsvorgängern Friedrich Wetter und Josef Ratzinger Fehlverhalten nach – Ratzinger, bekanntlich kein geringerer als der zurückgetretene Papst Benedikt XVI.
Laut Berichten wurden allein in München nach Angaben des Kreisverwaltungsreferates seit Veröffentlichung des Gutachtens rund 650 Termine für Kirchenaustritte gebucht – ein Mehrfaches des üblichen Umfangs. Das dortige Standesamt habe seine Öffnungszeiten erweitert und zusätzliche Beschäftigte eingesetzt. Auch in anderen großen bayerischen Städten gibt es diesbezüglich lange Wartelisten.
Und Augsburg? Da mussten die Öffnungszeiten im Standesamt dieser Tage reduziert werden, bedingt durch Corona-Ausfälle. Darüber hinaus, so das Standesamt, sei es schwierig, Rückschlüsse auf die Münchner Vorkommnisse zu ziehen: Seit der Veröffentlichung des Gutachtens wurden 62 Kirchenaustritte registriert. Nachdem diese Termine bereits lange davor vereinbart wurden, könne man dazu keinen Bezug herstellen, zumal Anfragen in den seltensten Fällen eine Begründung enthielten.
Die Nachfrage an Kirchenaustrittsterminen sei bereits seit geraumer Zeit hoch. 2020 fanden in Augsburg 1905 Kirchenaustritte statt. 2021 waren es 2836. In diesem Jahr gab es bisher 184 Fälle.
Lässt sich abschätzen, welche Rolle es spielten könnte, dass weder der amtierende Augsburger Bischof noch dessen Vorgänger mit Missbrauchsfällen in Beziehung gebracht werden? Oder dass Bischof Bertram Aufklärung zur „Chefsache“ gemacht hat? Nach Worten von Nicolas Schnall von der bischöflichen Pressestelle könne darüber nur spekuliert werden…
Zum generellen Umgang des Bistums mit dem Thema erklärt Schnall u.a.: „Jede Person wird individuelle Gründe haben, die es zu respektieren gilt. In den meisten Fällen dürfte dem Austritt ein langer Prozess der Entfremdung vorausgegangen sein.“ si