Vor dem Winter heißt es: Ab in den Kühlschrank
Kleopatra dreht noch eine kleine Runde auf der Terrasse und genießt die letzten Sonnenstrahlen, während sich Othello schon tief in einer Kiste voller Sägespäne und Heu verbuddelt hat. Die beiden Breitrandschildkröten sind nämlich bereits auf dem Weg in die alljährliche Winterstarre erklärt „Schildkrötenmama“ Kerstin Thiel.
Die 38-jährige Augsburgerin hat die beiden Reptilien vor mehr als zehn Jahren bei einem Schildkrötenfan und Privatzüchter in Stätzling gekauft, mit Herkunftsnachweis versteht sich. „Ich wollte immer gerne Haustiere haben, aber um mich ausreichend um Hunde oder Katzen zu kümmern, fehlt mir leider die Zeit. Ein Bekannter, der ebenfalls eine Schildkröte besitzt, brachte mich dann auf die Idee.“
Die gepanzerten Kriechtiere benötigen Wasser, Futter und viel Platz – den haben sie auf der Dachterrasse der Rechtsanwältin zur Genüge. „Sie brauchen nicht viel Zuwendung im klassischen Sinne, aber es ist schön, sich um diese besonderen Tiere zu kümmern. Auch wenn sie nicht viel machen, sehe ich ihnen immer gerne zu beim Kriechen, Essen oder Herumliegen in der Sonne – das ist wahnsinnig beruhigend.“
Von etwa April bis Oktober leben die Tiere hauptsächlich draußen, ab November bis Februar, wenn die entsprechend niedrige Temperatur von unter sieben Grad erreicht wird, „fallen” die Tiere in die Winterstarre und reduzieren ihren Stoffwechsel auf ein Minimum. Im Gegensatz zur Winterruhe und zum Winterschlaf der gleichwarmen Tiere (Vögel und Säugetiere) sinkt die Körper- entsprechend der Außentemperatur. Die Körperfunktionen schalten sich dabei fast völlig aus: Es erfolgt weder Muskelkontraktion noch Nahrungsaufnahme, der Sauerstoffbedarf ist stark herabgefahren, sodass nur noch wenige Atemzüge in der Minute stattfinden. Die Herzfrequenz beträgt bei fünf Grad Körpertemperatur nur noch drei bis fünf Schläge pro Minute. „Wie ein Gerät im Stand-by-Modus“, beschreibt Kerstin Thiel diesen Vorgang ihrer wechselwarmen Haustiere. „Wenn es draußen null Grad hat, gefrieren sie und würden sterben. Schildkröten können gut im Kühlschrank überwintern – es ist dunkel und ruhig, eine konstante niedrige Temperatur. Aber meiner ist leider zu klein, deswegen bringe ich sie bei mir immer in einer großen Kiste mit Sägespänen und Heu in einem kühlen Lagerraum unter.“
Im Sommer bewegen sich die „langsamen“ Schildkröten aber auch ganz schön schnell – kein Wunder, denn durch die vielen Sonnenstunden können sie reichlich Vitamine aufnehmen, verarbeiten und die UVB-Strahlung sorgt für ausreichend Kalkeinlagerungen für Panzer und Knochen. Da verdrücken sie dann große Mengen an Unkraut, Gräsern und Co. und als Nachspeise ein paar Obststückchen.
Bei so gesunder Ernährung steht einem langen Leben wohl nichts im Wege: Bis zu 80 Jahre können Kleopatra und Othello auf dem Buckel – Pardon Panzer – haben. „Sie werden mich wahrscheinlich überleben, aber als Anwältin kann ich ein gutes Testament aufsetzen, damit es meinen Lieblingen auch in der Zukunft gut gehen wird“, erklärt Kerstin Thiel lachend.