Manchmal muss man etwas auf den ersten Blick Verrücktes machen, um neue Ziele zu erreichen – wie ein Trainingslager in Usbekistan. Für die Boxweltmeisterin Tina Rupprecht geht es in diesem Jahr genau darum: neue Ziele zu setzen und dabei die Grenzen ihrer bisherigen Erfolge zu überschreiten. Die Frage, welche Ziele das noch sein könnten, stellt sich bei einer wie ihr durchaus – schließlich ist die Augsburgerin mehrfache Boxweltmeisterin und hält seit Januar dieses Jahres den WBC-Titel im Atomgewicht. Gewinnt sie ihren nächsten Kampf am 23. November in Heidelberg gegen die Japanerin Eri Matsuda, kann sie wahrlich Historisches erreichen.

„Ich wäre die erste deutsche Boxerin, die drei von vier Titeln der großen Weltverbände vereinigt (WBC, WBA, WBO Anm. d. Red.). Das hat noch nie ein Deutscher davor geschafft, egal ob Mann oder Frau”, ist sich Tiny Tina der Bedeutung des anstehenden Kampfes bewusst. „Ich kann Geschichte schreiben“, sagt die 32-Jährige selbstbewusst. Neben den drei Weltmeistertiteln steht auch noch der des Ring Magazines an. Dieser Ehrentitel des renommierten Boxmagazins wird nur verliehen, wenn die zwei Besten der Welt in einer Gewichtsklasse gegeneinander antreten. „Ich wäre die erste deutsche Boxerin seit Max Schmeling 1930, die diesen Titel hält“, sagt Rupprecht mit einem Leuchten in den Augen.

Für „Tiny Tina“, wie Rupprecht im Ring genannt wird, ist es bereits der zweite Vereinigungskampf und die zweite Chance auf den Ring Magazine Titel. „Für mich ist es dieses Mal nicht großartig anders. Man geht in jeden Kampf rein mit der Einstellung, das Ding zu rocken“, erklärt sie entschlossen. „Ich will einfach gewinnen.“ Im März 2023 trat die Augsburgerin gegen Seniesa Estrada im US-amerikanischen Fresno an – und verlor dort nach Punkten. Der große Unterschied zu damals ist neben der Gewichtsklasse allen voran der Austragungsort. Wurde Estrada im damaligen Kampf von den Ringrichtern vor heimischem Publikum wohl etwas übervorteilt – ihr wurde im Punktsieg jede einzelne Runde zugesprochen – freut sich Rupprecht in Heidelberg auf ausgeglichenere Verhältnisse. „Einen kleinen Heimvorteil gibt es immer im Boxen, trotzdem muss man im Ring zeigen, wer besser ist, und darauf freue ich mich“, blickt die 1,53 Meter große Boxerin optimistisch auf die anstehende Aufgabe.

Diese könnte im Atomgewicht kaum größer sein. Eri Matsuda bezwang zu Jahresbeginn ihre japanische Kollegin Yuko Kuroki und hält seitdem die Weltmeistertitel der WBO und WBA, ihre Bilanz ist mit sieben Siegen, einem Unentschieden und einer Niederlage aus neun Kämpfen erwartbar stark. Doch ob es nun Matsuda oder eine andere Gegnerin ist, spielt für Augsburgs Box-Ikone nur eine untergeordnete Rolle. „Gegen wen ich am Ende kämpfe, spielt für mich auch keine allzu große Rolle. Ich konzentriere mich mehr auf mich selbst“, sagt Rupprecht gelassen.

„Tiny Tina“ trainierte im Trainingslager in Usbekistan

Um sich bestmöglich vorzubereiten, ist Rupprecht dieses Mal einen ungewöhnlichen Schritt gegangen, hat die intensive Kampfvorbereitung mit ihrem Trainer Alexander Haan in Usbekistan absolviert. „Alex und ich haben uns gedacht, wir springen einfach ins kalte Wasser und probieren es aus.“ Für die Ortswahl gibt es gute Gründe. Usbekistan ist eine der besten Boxnationen der Welt. Bei den Olympischen Spielen in Paris gewannen alleine die Männer fünf Goldmedaillen, aber auch die Frauen sind stark. „Die Bedingungen sind für mich ideal, hier gibt es auch in meiner Gewichtsklasse super Boxerinnen, die sind vom Niveau her top, top, top und boxen dazu noch in einem ähnlichen Stil wie meine japanische Gegnerin“, freut sich Rupprecht über die mutige Entscheidung. Von den Wochen in Zentralasien abgesehen, hat sich an der Vorbereitung jedoch nichts geändert. „Never change a running system, wie man so schön sagt. Meine Kraft- und Ausdauereinheiten habe ich bei Sepp Maurer im Bayerischen Wald absolviert, ansonsten habe ich wie gewohnt in Augsburg trainiert. Zum Sparring war ich in Basel und eben in Usbekistan.“

Für den 23. November ist Tina Rupprecht also so bestmöglich gerüstet, nun gilt es, deutsche Boxgeschichte zu schreiben.
Zu sehen ist der Fight übrigens in Deutschland gleichzeitig im Stream bei BR, SWR, MDR und auf Sportschau.de. Außerdem wird er von TV-Sendern in Japan, USA und Südamerika live übertragen.

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