History: Das närrische Treiben in der Fuggerstadt

Wenn der Augsburger Stadtrat mit der Frau des Chefarztes eine heiße Sohle aufs Parkett legte und die Champagner-Korken knallten, dann tobte wieder ein legendärer VIPO-Ball im Augsburger Fasching. In den Siebziger-Jahren erlebten die närrischen Partys in der Fuggerstadt ihre wildeste Zeit.

Die Schwäbische Neue Presse lud jährlich ein und bis zu 200 bekannte Augsburger trafen sich in jährlich wechselnden Diskotheken. Manchmal auch mit wechselnden Partnern. Mal stieg die Party im Gögginger Big Apple, mal im Jetset im Schwabencenter. Und jeder, der Rang und Namen hatte, schmiss sich in phantasievolle Kostüme. Politiker, Gerichtspräsidenten, Chefärzte, Unternehmensbosse, Fußballprofis, ja sogar Olympiasieger wie Eisschnellläufer Erhard Keller und Fechterin Heidi Schmid-Grundmann. Jeder wollte dabei sein. Auch Oberbürgermeister wie Wolfgang Pepper und Hans Breuer tanzten munter im Augsburger VIPO-Fasching. Der Clou: Um Mitternacht gab es zu Leberkäs und Weißwurscht eine auf dem Fotokopierer hergestellte VIPO-Ballzeitung. Doch auch auf den Augsburger Straßen tobte der Fasching.

Prominente Ballgäste wie hier die drei Clowns scheuten keine aufwendige Maskerade, um im Fasching inkognito allerlei Schabernack zu treiben.

Hunderttausende Narren, viele verkleidet, säumten die Straßen, wenn der Gaudiwurm mit dutzenden Wagen und vielen Tanz- und Musikgruppen durch die Augsburger Innenstadt zog. Manche Anwohner bekamen schon im Sommer Anfragen nach Fensterplätzen.

Der Augsburger Fasching: Beim ersten Umzug nach dem Krieg ging die Post ab

Schon beim ersten Faschingsumzug nach dem Krieg im Februar 1950 fuhren 52 bunte Faschingswagen durch Augsburg. Sie trafen sich beim Roten Tor zum „Augsburger Fastnachts-Umzug“. Die Streckenführung ging über den Milchberg, Maximilian-, und Karolinenstraße zur Frauentorstraße. Weiter ging es über Georgenstraße, Heilig-Kreuz-Straße, Ludwigstraße, Annastraße zum Königsplatz. In der Gögginger Straße beim Westend-Saal löste sich der Faschingszug auf, erinnert sich der Augsburger Historiker Franz Häußler: „Halb Augsburg schien auf den Beinen, um Straßenfasching zu erleben. Sie wollten nach langer Notzeit bei unbeschwerter Fröhlichkeit dabei sein.“


Die Schwäbische Landeszeitung schrieb unter der Überschrift „Ganz Augsburg tollt um die verrückte Zirbelnuß“, der erste Faschingszug nach elf Jahren habe die als recht steif geltenden Augsburger begeistert. Sie hätten sich vom Humor anstecken lassen und seien „durchaus zum Scherzen und Lachen aufgelegt“ gewesen. Dass sich der Faschingszug vor 70 Jahren durch eine großteils ruinöse Häuserkulisse bewegte, erwähnte der Berichterstatter nicht, schreibt Franz Häußler in der AZ.

Hoch zu Ross eskortierte die Perlachia-Garde beim großen Faschingszug den Prunkwagen von Prinz und Prinzessin samt Hofstaat und vielen Musik- und Tanzgruppen.


Beim närrischen Treiben in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren ging in Augsburg die Post ab. Faschingsgesellschaften gab es viele. Die Perlachia war die feinste Truppe. Doch Hollaria oder der ACV standen ihr kaum nach. Gefühlt feierte die ganze Stadt den Höhepunkt der fünften Jahreszeit. „Dicht gedrängt standen die Menschen im Faschingstaumel. Man konnte kaum umfallen“, berichtet ein Zeitzeuge. Überall wurde gefeiert: auf den Straßen, in den Wirtschaften, in den Diskotheken und im Hotel Drei Mohren, wie man damals noch sagen durfte.

Das Drei Mohren war in dieser wilden Zeit das Hauptquartier der Perlachia. Das Prinzenpaar und der Elferrat bezogen während des Faschingstrubels eigene Zimmer im ersten Hotel am Platze. Der Veranstaltungssaal „Teehalle“ wurde für die Partys von Mitarbeitern des Stadttheaters und anderen bekannten Künstlern geschmückt.
Vor dem Hotel wartete oft Augsburgs modernster Mercedes-Bus der Firma Domberger, der das Perlachia-Prinzenpaar plus Gefolge in die Vorstandsetagen der großen Augsburger Industriefirmen brachte. MAN, Dierig oder Kammgarnspinnerei – alle Vorstände empfingen das Prinzenpaar, es gab reichlich zu essen und zu trinken. Der Präsident verteilte Orden. Es war eine verrückte Zeit.

Alle Faschingsbälle waren ausverkauft. Karten erzielten Schwarzmarktpreise. Die Faschingssitzungen waren Höhepunkte. Der Lagger Toni riss die Gäste als „Stoinerner Ma“ zu Lachsalven hin. Die Augsburger Jeunesse Doree feierte derweil beim legendären Ball der Tanzschule Benkhart im Drei Mohren. Die Damen waren oft sexy gekleidet. Doch die vielleicht traditionsreichste Faschingssause war der Kehrausball am Faschingsdienstag.

Eine Stadt voller Narren – so war das früher auf den Straßen
der Fuggerstadt am Faschingssonntag und am Faschingsdienstag.

Hier begab sich wohl 1969 eine der lustigsten Geschichten des Augsburger Faschings. Höhepunkt war immer um kurz vor Mitternacht der Kehraus-Auftritt der Perlachia-Mädchengarde „Die Zirbelnüsschen“. Die attraktiven Damen mit langen Beinen beendeten mit ihrem letzten Auftritt die närrische Saison. Zumindest offiziell. Doch in diesem Jahr sollte es anders kommen.
Als Clowns verkleidet machten sich drei junge Burschen aus bestem Hause einen Spaß. Sie sperrten die Zirbelnüsschen im Umkleideraum ein. Kurz vor dem Kehraus um Mitternacht, die Faschingsgäste warteten schon, setzten sie sich auf die Tanzfläche in der Teehalle. Der maskierte Anführer klimperte lachend mit dem Schlüssel, Perlachia-Präsident Heinz Theinert witterte Ungemach.
Als er auf die Bühne trat, forderten die Clowns drei Flaschen Schampus als Lösegeld für die Befreiung der Zirbelnüsschen. Theinert zahlte und die Mädchen ließen doch noch ihre Beine durch die Luft wirbeln. Erstmals allerdings verzögert nach Mitternacht – also in der Fastenzeit.

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