Dergin Tokmak (Mitte) mit Pedro Izquierdo und David Moya beim Zirkus Salto Natale in Zürich. Foto: privat

Er ist immer in Bewegung, on tour, und versucht, dem Leben mit Witz zu begegnen: Wenn Dergin Tokmak, den viele als Tänzer „Stix“ kennen, durch Augsburg flitzt, fährt der quirlige Mann mit der Tarnfleckenhose und dem Manbun nicht nur allen davon. Es dauert auch nicht lang, bis er die ersten Bekannten trifft und für ein kurzes Gespräch anhält. Und der ein oder andere Augsburger hat ihn bestimmt schon an seinen Lieblingsorten gesehen: Beim Training im QuickFit, im Neruda, der Kresslesmühle – „oder gern in den City Club zum Raven“.

Der 50-Jährige sagt auch heute: „Augsburg ist meine Heimatstadt, hier im Josefinum bin ich geboren. Hier hab ich meine Base und meine Eltern.“ Seine Mutter – zwanzig Jahre bei Ihle – und sein Vater – Rangierer bei der Bundesbahn – hätten sich früher schon gewünscht, dass der Sohn Anwalt oder Arzt wird. Seine Heimatstadt hat den Tänzer nun mit dem Popkulturpreis ROY für das Jahr 2022 geehrt. Tokmak weiß seit den Anfängen in den 1980ern: „Augsburg ist ein anspruchsvolles Publikum, das nicht immer einfach zu begeistern ist. Aber mit dem Roy-Preis hab ich die Augsburger überzeugen können. Deswegen bin ich stolz darauf.“

Der erste Schlüsselmoment für den 12-jährigen „Stix“: Eine Tanzszene in einem Film

Dabei schien anfangs nichts unwahrscheinlicher als eine Tänzerkarriere: Mit acht Monaten erkrankt Tokmak an Kinderlähmung, beide Beine sind eingeschränkt. Doch das quirlige Kind lernte schnell, sich auf seinen Händen fortzubewegen. Mit vier gab es die ersten Krücken, auf denen er bereits spielerisch tanzte.

Und dann kam „mein erster Schlüsselmoment“, wie er im Gespräch mit dem Augsburg Journal mit leuchtenden Augen berichtet: Als Tokmak 12 Jahre alt ist und der Hip-Hop durch die stationierten Amerikaner auch in Augsburg ankommt, zeigt sein Cousin ihm nicht nur Moves, die er mit Händen und Rücken machen kann. Sondern auch den Film „Breakin“. Inklusive einer 20 Sekunden langen Stelle, in der ein Mann auf Krücken tanzte. „Das hat mich verändert von einem Typen, der im Rollstuhl sitzt, zu einem bekannten Tänzer.“ Eddie Rodriguez, der Tänzer aus dem Video, kontaktierte Tokmak später auch, als der gerade für eine Episode der „Lebenslinien“ im BR begleitet wurde.

Dergin Tokmak erinnert sich an die erste Begegnung mit Eddie Rodriguez

Der Augsburger erinnert sich an ihre erste Begegnung: „Das war ein ganz emotionaler Moment, weil er mich zum Tanzen inspiriert hat und ich ihn dann auch wieder inspiriert habe, zu tanzen.“ Danach hat Tokmak ihn noch mal in L.A. besucht. Beide leben mit den Folgen von Kinderlähmung an den Beinen, beide sind mit Migrationshintergrund aufgewachsen, der eine in Deutschland, der andere in den Staaten. Und dann der Tanz. „Wir haben uns so gut verstanden, als wären wir Brüder.“ Sie seien heute noch in Kontakt, nur die Entfernung stellt ein Problem dar.

Energiebündel: Im Dokumentarfilm „The Rising Sun” in Zusammenarbeit mit der Roc Kidz Crew tanzt Dergin Tokmak auf den Straßen. Foto: Fabian Kimoto

Inspiriert von Rodriguez‘ Video trainiert der junge Dergin Tokmak hart, und im nahen Jugendzentrum sind die Tänzer begeistert, als er zum ersten Mal bei einem Battle antritt. Heute denkt er mit einem Lächeln daran zurück: „Ich habe damals alle fünf Elemente des Hip-Hop ausprobiert – und mir das schwierigste ausgesucht: das Tanzen.“ Im Jugendzentrum „k15“ (heute die „villa“) fand der Junge einen Open Space, wo er sich ausleben konnte. „Solche Jugendzentren, wo Jugendliche mit Migrationshintergrund sich treffen, mit Tanz- und DJ-Workshops, sind heute leider nicht mehr so ausgeprägt“, bedauert er – außer die Matrix in Königsbrunn.

Tokmak setzt sich ein für Barrierefreiheit auch in Augsburg. Berühmt ist er aber für seinen Tanz – mit Krücken

Dass ihn manches in der Stadt ärgert, das er so nicht stehen lassen kann, merkt man auch, wenn man mit ihm eine Runde durch die Augsburger Innenstadt dreht und darauf achtet, wie barrierefrei sie ist (siehe Bildergalerie). Der 50-Jährige hat auf seinen Reisen Städte wie Barcelona gesehen, die viel weiter sind. Dem Augsburger ist es ein Anliegen, auch wenn er als Artist sich oft etwa an Türrahmen hochziehen könne: „Jeder hat einen in der Familie, zum Beispiel die Oma mit dem Rollator, und Augsburg ist ja eine Stadt, wo viele ältere Menschen leben.“ Er will dabei auch die Großen, wie Supermarkt- und Bäckereiketten, aber vor allem öffentliche Einrichtungen in die Pflicht nehmen. Es gibt aber auch Vorzeigeorte, wie den Hofgarten mit einer labyrinthartigen Rampe bis zum Brunnen.

Der Rollstuhl und besonders die Krücken (sticks) wurden sein Markenzeichen: Mit 18 war Tokmak unter seinem Tänzernamen „StiX“ in der Augsburger Underground-Nachtclub-Szene bekannt. Mit zwanzig gründete er mit fünf anderen Jungs seine erste Hip-Hop-Tanzgruppe „Da F.U.N.K“. Mit Erfolg: Es folgte eine Deutschland-Tour als Support Act von Run-D.M.C. Bis 2003 war er mit der Gruppe in Augsburg sichtbar. Es folgten Auftritte in Fernsehshows, und mit „C-Block”, einer gewerblichen Hip-Hop-Gruppe, in Europa.

Mit „Da F.U.N.K“ (Funky United Nation Krew), seiner ersten Hip-Hop-Tanzgruppe, tourte Dergin Tokmak in den 90ern durch Deutschland, unter anderem als Support Act für Run-DMC.

Mit dem Cirque du Soleil erfüllt sich für Stix ein Traum – heute tanzt er unter anderem in Südkorea

Dann klopften die Scouts des Cirque du Soleil an. Mit 30 Jahren erfüllte sich für Dergin Tokmak, der anfing zu breaken, weil er die Welt sehen wollte, ein Traum: Er bekam nach intensivem Vortanzen und Training die Rolle des „hinkenden Engels“ in der Show „Varekai“. Sah New York und L.A. Und er kam auch mal wieder zurück in die Heimat: „Als ich mit dem Cirque in München gastierte, hab ich meine ganze Familie eingeladen. Da hab ich mich natürlich gefreut, weil wir alle lange gewartet haben, bis ich wieder nach Deutschland komme.“

Seine Passion lebt der sympathische 50-Jährige immer noch aus, ist zum Beispiel bei der „Urbanatix“-Show auf Tour. Er reist im August mit dem Inklusiv-Tanz-Theater-Stück „Exploring borders“ nach Süd-Korea. Und Tokmak hat ein Angebot für eine Zirkusshow in Chile. Auch wenn er Bedenken habe, freue er sich, endlich Südamerika zu sehen – ganz ähnlich wie damals beim Cirque du Soleil. Auch neue Folgen „Stix in the city“, einer Reisesendung der Arbeitsgemeinschaft Behinderung und Medien, dreht Tokmak im August als Moderator in bayerischen Städten. Einen unerfüllten Wunsch gäbe es aber doch noch, verrät er: „Ich hab nen Van gekauft. Ich wollte eigentlich damit im Oktober nach Spanien, aber mit dem Chile-Angebot muss ich mal schauen, ob es klappt.“ Vieles ergebe sich einfach, aber er suche auch neue Herausforderungen. „Ich hab‘s nie einfach gehabt und das erdet mich. Und mir wird es auch schnell langweilig, wenn ich nichts zu tun hab.“

Stix bei einer urbanatix-Show.

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