Der Juni steht ganz im Zeichen Europas und was wäre da naheliegender, als mit DEM europäischen Urgestein unserer Region, Markus Ferber, zu reden, der bereits zum siebten Mal für die CSU in den Wahlkampfring steigt. Marc Kampmann führte das Interview mit Augsburgs Europaabgeordnetem.

AUGSBURG JOURNAL: Im kommenden Jahr werden sie 60 Jahre alt. Ihr halbes Leben haben Sie dann zwischen Brüssel und Straßburg verbracht. Ist für Sie ein Leben abseits der europäischen Bühne denkbar?

Markus Ferber: Ja, natürlich ist ein Leben außerhalb der europäischen Bühne denkbar, es wäre arm, wenn man sich das nicht vorstellen könnte. Auf der anderen Seite ist die Arbeit für und in Europa so faszinierend, dass ich sie nicht missen möchte. Und ich spüre, noch brennt das Feuer in mir. Und das ist auch der Grund, warum ich jetzt noch einmal antrete. Europa ist ein faszinierendes Thema und wir leben momentan in einer Zeit, in der dieses Europa viele Lösungen anbieten kann. Und das mitgestalten zu können, finde ich wahnsinnig reizvoll. Wir stehen vor einer Herausforderung in Bezug auf Russland. Wir erleben China als Systemrivale und nicht mehr „nur“ als Absatzmarkt. Die Situation im Nahen Osten ist weiter extrem angespannt und auch die anstehenden Wahlen in den USA werfen ihren Schatten voraus. Also wahnsinnig viele Themen, die wir jetzt auf europäischer Ebene zu bearbeiten haben. Und da will ich weiterhin ein bisschen mithelfen und mitreden.

Markus Ferber: „Wir müssen wieder Maß und Mitte finden“

AJ: Welche konkreten Ziele haben Sie für eine weitere Amtszeit?

Ferber: Ich bin der Experte in unserer Fraktion für Wirtschaftspolitik und habe mich besonders dem Mittelstandsthema verschrieben. Ich habe vor meiner politischen Karriere selbst hier in Augsburg bei einem Mittelständler gearbeitet, dessen Geschäft von einem hohen Exportanteil geprägt ist. Solche Unternehmen, die auch hier in unserer Region sitzen, zu unterstützen, zu helfen, auch mit der Bürokratie in Europa zurechtzukommen und ihre Stellung auf dem Weltmarkt zu behaupten, das sehe ich als meine Aufgabe. In Sachen Klimaschutz und Mobilitätswende haben wir in dieser Legislaturperiode sicherlich einiges falsch gemacht, zum Teil auch gegen meinen Willen und mit heftigem Widerstand von meiner Seite. Wir müssen wieder Maß und Mitte finden, Technologieoffenheit, mehr Anreize und weniger Verbote. Ich denke, das wird noch eine spannende Aufgabe sein, von denen der Standort Augsburg und Bayerisch-Schwaben auch profitieren wird. Wir sind Umweltkompetenzzentrum, aber auch Zulieferer in der Automobilindustrie. Der große Systemwechsel in Richtung Elektromobilität wird kommen und daher ist es wichtig, die Mittelständler zu begleiten und ihnen zur Seite zu stehen.

AJ: Wie ist die aktuelle politische Lage in der EU? Wie wirkt sich die schwächelnde Wirtschaft aus? Welche Rolle spielt der russische Angriffskrieg in der Ukraine? Wie spürbar ist der Brexit noch?

Ferber: Natürlich haben wir ein Riesenproblem, die Frage bleibt, wie bekommen wir die Wirtschaft wieder zum Laufen? Und da schaut alles auf Deutschland. Der kranke Mann in Europa ist zurzeit die Bundesrepublik, und da ist natürlich auch die Bundesregierung gefragt. Der russische Angriffskrieg hat uns vor Augen geführt, wie abhängig wir im Bereich der Energieversorgung von einem Land waren. Und wir müssen jetzt schon aufpassen, dass wir viele Abhängigkeiten, die wir heute haben, wieder reduzieren. Es kann ja nicht sein, dass Kinder-Fiebersäfte bei uns knapp werden, weil Indien nicht liefert. Es kann nicht sein, dass wir in der Energie sparen müssen, weil wir auf Russland nicht mehr zurückgreifen können. Es kann nicht sein, dass bei uns Autos nicht ausgeliefert werden können, weil ein einzelnes kleines Teil noch fehlt, das irgendwo in der Welt produziert wird. Also dieses Thema Widerstandsfähigkeit, Resilienz, ist ein ganz zentrales Thema, da müssen wir mehr tun.

Der CSU-Europa-Abgeordnete Markus Ferber will seine Arbeit im Europäischen Parlament nicht missen.
Der CSU-Europa-Abgeordnete Markus Ferber will seine Arbeit im Europäischen Parlament nicht missen.

Der Angriffskrieg auf die Ukraine hat sich natürlich in vielen Bereichen ausgewirkt. Wir müssen uns fragen: Wie können wir der Ukraine helfen? Wie sind zwar nicht das Kriegsziel, aber wir sind ein Grund für den Krieg. Der freie Westen, die Rechtsstaatlichkeit. Um es aus Putins Sicht aus zu formulieren, den Russen, die nicht in Russland leben, geht es heute besser als den Russen, die in Russland leben. Er hat große Angst, dass sich das irgendwann mal gegen ihn wendet. Der Brexit ist für uns weniger spürbar als für die Briten. Wir tun uns nach wie vor relativ leicht, ins Vereinigte Königreich unsere Waren und Dienstleistungen zu liefern. Die Briten hingegen tun sich relativ schwer, die Handelsbeziehungen mit uns aufrechtzuerhalten. Kurz gesagt, die Briten haben sich selber ins Knie geschossen und das Mitleid in Europa hält sich in Grenzen.

AJ: Die Migrationspolitik ist weiterhin eines der Themen schlechthin. Welche Position vertreten Sie in dieser Gesamtdebatte?

Ferber: Ich habe schon in der Kampagne 2014, also vor der großen Flüchtlingswelle 2015, klar gesagt, dass wir entscheiden müssen, wer zu uns kommt – und nicht die Schlepperbanden. Damals war ich noch relativ isoliert, habe auch Ärger mit meinem damaligen Parteivorsitzenden wegen solcher Äußerungen bekommen. Heute sagt es die Kommissionspräsidentin, heute ist es Politik der Europäischen Union. Das heißt, es ist doch gelungen, jetzt in zehn Jahren zu einer massiven Änderung der Politik auf europäischer Ebene zum Thema Flüchtlinge zu kommen. Wer wirklich flüchten muss, weil er verfolgt wird, dem muss auch geholfen werden. Und natürlich brauchen wir die Migration auch auf dem Arbeitsmarkt dringend.

„Keiner kann es mehr allein“

AJ: Augsburger Interessen, bayerische Interessen, deutsche Interessen und die Interessen Europas, wie schaffen Sie es, all dies unter einen Hut zu bekommen?

Ferber: Also zunächst möchte ich vorausschicken, dass kein Land mehr für sich alleine seinen Bürgerinnen und Bürgern den notwendigen Schutz bieten kann, den die Menschen verdienen. Wir brauchen die NATO und wir brauchen die Europäische Union, damit wir in Frieden, in Freiheit, in Sicherheit leben können. Ich erlebe aber immer noch viele nationale Interessen, selbst aus Ecken, wo man es gar nicht vermutet. Der Supereuropäer Macron ist einer der größten Kämpfer, wenn es um französische Interessen geht und vergisst da oft das europäische Gesamtinteresse. Meine Richtschnur heißt: Was macht Sinn, auf welcher Ebene zu entscheiden? Es gibt viele Dinge, die kann der Augsburger Stadtrat souverän viel besser entscheiden als das Europäische Parlament. Und es gibt ein paar Dinge, da kommt auch der Bayerische Landtag oder der Deutsche Bundestag an seine Grenzen. Das ist für mich der Abwägungsprozess. Wir haben gerade über Flüchtlinge gesprochen. In dieser Frage erleben wir zum ersten Mal, dass alle Mitgliedsstaaten akzeptieren, „Wir müssen es gemeinsam lösen“. Wir haben auch durch Covid gelernt, dass wir auch in der Medizinversorgung viel enger zusammenarbeiten müssen. Keiner kann es mehr allein.

Und zu den Interessen des Freistaates: Wir machen in Bayern ja nicht alles verkehrt, sonst würde es uns hier nicht so gut gehen, auch im Verhältnis zu Deutschland und zu Resteuropa. Wir sind noch ein Bundesland mit Wachstum. Ohne Bayern wäre Deutschland in der Rezession. Also ein paar Dinge von Bayern auch nach Europa zu übernehmen, schadet nicht. Gerade im Bereich der Wirtschaftspolitik und der Technologiepolitik. Und da haben wir auch einiges umsetzen können.

AJ: Welche konkreten Projekte haben Sie zur Förderung der Wirtschaft in der Fuggerstadt in ganz Schwaben noch geplant?

Ferber: Auch hier bleibt mein Thema, wie kann ich dem Mittelstand helfen? Und die Frage, die sich mittlerweile aufdrängt ist: Müssen wir wirklich alle Regeln, die wir in Europa aufstellen, auf jede Bank, auf jede Versicherung, auf jedes Unternehmen zu 100 Prozent übertragen? Oder kann man nicht sagen, eine Sparkasse, die nur in der Stadt Augsburg oder in der Stadt Friedberg aktiv ist, muss vielleicht nicht die gleichen Regeln erfüllen wie eine grenzüberschreitend tätige Bank aus Frankreich oder Spanien. Muss ein mittelständischer Handwerksbetrieb, der nur die Region beliefert, vielleicht nicht so streng behandelt werden wie einer, der auf dem Weltmarkt unterwegs ist? Da eine Abgrenzung zu finden, das ist es, was ich mir für die nächste Periode ganz konkret vorgenommen habe. Und ich glaube, dass wir da gerade aufgrund unserer Wirtschaftsstruktur in Augsburg und in Schwaben profitieren würden. Im Bereich der Landwirtschaft, welche ja auch ein großes Thema ist für Schwaben, müssen wir natürlich über Vereinfachung und Entbürokratisierung sprechen. Wir haben ja jetzt schon einiges auf den Weg gebracht. Das muss weitergeführt werden. Wir sind eine Art Feinkostladen hier in der Region in Sachen Lebensmittelverarbeitung. Unser Ziel muss es sein, das abzusichern und nicht durch überzogene Anforderungen zu zerstören.

„Mehr Vertrauen führt zu weniger Bürokratie“

AJ: Das typische Stammtischgespräch über die EU ist noch immer geprägt von Kritik an undurchsichtigen Entscheidungsprozessen und der Bürokratie. Wie wollen Sie konkret das Vertrauen in den europäischen Weg weiter stärken?

Ferber: Bürokratie entsteht dadurch, dass man versucht, in Europa alles gleich zu behandeln, weil sich die Staaten gegenseitig misstrauen und auch der Kommission misstrauen. Und da müssen wir wegkommen, mehr Vertrauen führt zu weniger Bürokratie. Die Entscheidungsprozesse sind komplex bei uns, und sie werden auch komplex bleiben. Mit meiner Erfahrung bin ich aber durchaus in der Lage, die Anliegen der Region auch an der richtigen Stelle in Brüssel einzuspeisen und biete mich dafür auch an. Ich kenne die Entscheidungsprozesse und Strukturen wirklich aus dem Effeff, das ist auch ein echter Vorteil für die Region. Ich muss jetzt nicht nach der Wahl wieder neu lernen, sondern ich kann mein ganzes Know-how, mein Netzwerk, mein Wissen mit einbringen. Und an den Stammtischen ist natürlich auch die Frage „Wer sichert dauerhaft bei uns den Frieden ab?“ ein Dauerthema.

Können wir uns auf Amerika noch verlassen, wenn Trump wieder ins Weiße Haus einzieht? Ist Russland in der Lage und willens, neben der Ukraine auch noch andere Länder anzugreifen? Können wir den Balkan stabilisieren und Konflikte oder gar einen neuen Bürgerkrieg verhindern? Ich finde ja interessant, dass der chinesische Staatspräsident lieber nach Serbien fliegt und um Deutschland einen großen Bogen macht. Das sind Botschaften, die da ausgesandt werden. Und auch dies macht den Stammtischen große Sorgen. Da kann man durchaus zu der Schlussfolgerung kommen, ganz so schlecht ist diese Europäische Union trotz ihrer Komplexität und manchmal ihrer bürokratischen Antwort doch nicht, wenn es darum geht, uns zu schützen und uns Sicherheit zu geben. Wir brauchen Europa als eine eigene Schutzmacht, ein Europa, das schützt und nützt.

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