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Friseur als Zuhörer: Matteo Leggio & Melina Schilder über die andere Seite ihres Berufs in Augsburg

„Hallo Matteo!“ schallt es freudig an der Eingangstür: Drei Kunden betreten den Friseur-Salon von Matteo Leggio (65) in der Innenstadt von Augsburg. Und eine Kundin stellt dem Obermeister der Friseurinnung Augsburg ihren neuen Partner vor. Sie bekommen erst mal einen Kaffee. Man merkt gleich: Hier geht es familiär zu, Leggio kennt seine Kunden schon seit Ewigkeiten. Und wie in einer großen Familie wird natürlich viel geratscht. Deshalb hat das Augsburg Journal mal hingehört, was Leggio und seine Auszubildende Melina Schilder so zu hören bekommen. Denn neben Waschen, Schneiden und Föhnen sind Friseure auch eins: professionelle Zuhörer.

Saloninhaber und Innungsobermeister Matteo Leggio hört gut auf die Wünsche seiner Kunden.

Wie bei den Gästen, die gerade hereinkamen, seien oft ganze Familien zu Gast in seinem Salon, erklärt Leggio: „Da kommt die Oma, die Söhne und dann die Kinder von den Söhnen.“ Einige kaufen dann auch einen Gutschein für die Oma im Salon. „Die Leute erzählen uns dann auch, ‚Ich kommt heute zu Ihnen, weil wir schick essen gehen.‘“, berichtet Leggio. Bei besonderen Familienanlässen sind sie als Friseursalon also oft dabei. Und sind dabei ganz nah an den Haaren und Herzen der Kunden.

Typveränderungen bis zur Unkenntlichkeit und Trauerfälle: Was der Friseur Matteo Leggio in Augsburg mitbekommt

Dabei erzählen diese nicht nur von Bekannten, denen bei einem anderen Friseur die Kopfhaut verbrannt wurde oder die Haare büschelweise ausgefallen seien. Leggio überlegt weiter, während er Kundin Susanne in den Mantel hilft. Eine skurrile Situation habe es auch einmal gegeben – „das ist einzigartig, das vergesse ich mein Leben lang nie. Eine Dame kam zu mir und hat gesagt, ich brauche eine Typveränderung. Das habe ich umgesetzt und die Haare kürzer gemacht. Ihr Mann wollte sie mit dem Auto abholen. Sie bittet ihn, die Tür aufzumachen – und der Mann sagt, ‚nein, die kenn ich nicht!‘ Dann ist er rausgekommen und hat zu mir gesagt: ‚Die Überraschung ist gelungen! Ich hab meine eigene Frau nicht wiedererkannt!‘“ Das Erlebnis hatte aber ein Happy End, das Paar fuhr dann doch gemeinsam heim.

Auch nicht so schöne Erlebnisse teilen die Kunden mit Matteo Leggio und Melina Schilder. Die 17-Jährige ist im ersten Lehrjahr und betreute zum Beispiel eine Frau, deren Mann gerade gestorben war. Das war auch schwer, weil Schilder kurz zuvor selbst ihre Oma verloren hatte. Dennoch: „Es ist schön, wenn die Kunden einem da so vertrauen“, sagt sie. Bei Eheproblemen von Stammkunden hören sie zu, seien aber ganz vorsichtig, erklärt Leggio: Denn beide kommen in den Salon, und keinen will man verlieren. „Du musst schauen, neutral zu bleiben, aber trotzdem einen Rat zu geben“, erklärt er mit einem Seufzen.

Melina Schilder hat bereits „Zuhör-Erfahrung“.

Ist gutes Zuhören denn dann auch ein Einstellungskriterium für gute Friseure? Melina Schilder sagt: „Ich finde schon!“ Zuhören ist Teil der Ausbildung: Zunächst, erklärt Leggio, um den Wunsch der Kunden richtig zu verstehen und um während des Schneidens den Kunden Gehör zu schenken. Melina Schilder erklärt, sie lernten in der Ausbildung auch, zu zeigen, dass man zuhört. Aber die Voraussetzung muss für den Beruf schon da sein, findet Schilder: „Wenn ich ein Mensch bin, der gerne zuhört, hilfts.“ Bei der Geräuschkulisse, wo ständig ein Föhn läuft und auch Musik im Hintergrund, gar nicht so einfach.

Friseur-Obermeister Matteo Leggio: Heute sitzen andere Themen mit auf dem Friseurstuhl

Die Themen, die die Menschen mit auf den Friseurstuhl nehmen, haben sich im Lauf der Jahrzehnte verändert. Ging es früher eher um Wohlstand, sich Wohlfühlen und den anstehenden Urlaub, lassen die Gäste heute eher die Ängste am Waschbecken: Themen wie die Regierung, Heizen, Klima, Zuwanderung oder Kriege haben auch vor dem Salon nicht Halt gemacht. Diese Entwicklung habe vielleicht vor zehn Jahren angefangen, fasst der Meister zusammen. Heute sei sie am Tiefpunkt. Die Begeisterung fehle, sagt Leggio, „früher waren die Leute locker, lustig.“ Das sei auch schwerer für sie als Zuhörer. Aber er gebe seinen Kunden im Gespräch mit: Es gebe immer Höhen und Tiefen. „Ich sage den Leuten dann immer, wie gut sie ausschauen – damit sie auch wieder auf andere Gedanken kommen.“ Wie Doping – nicht nur für die Haare.

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