Start Sport & Auto „Größter Sohn unserer Stadt“: Vor zehn Jahren starb Helmut Haller

„Größter Sohn unserer Stadt“: Vor zehn Jahren starb Helmut Haller

Helmut Haller 1964 im Trikot des FC Bologna. Foto: DFB

Rund 1000 Trauergäste kamen kamen auf den Augsburger Nordfriedhof. Darunter ehemalige Fußball-Weltstars wie Franz Beckenbauer, Uwe Seeler (starb im August 2022), Sepp Maier und Hans Tilkowski. Sie gaben einem der größten Augsburger das letzte Geleit: Helmut Haller.

Der beste Augsburger Fußballer aller Zeiten war am 11. Oktober 2012 gestorben. Er hatte eine lange Karriere hinter sich, die in den Hinterhöfen von Augsburg-Oberhausen begann, wo sie ihn wegen seines schmächtigen Körpers „Hemad“ (Hemd) nannten. Helmut Haller wurde später zum Weltstar. „Der größte Sohn unserer Stadt“, sagte Peter Bircks, verstorbener Ex-Aufsichtsratschef des FC Augsburg, einmal. Aber der Reihe nach.

Der „Hemad“ wuchs in der Grafstraße im Augsburger Hettenbachviertel auf. In der Trümmerlandschaft rund um den Oberhauser Bahnhof hat er am Ende des Zweiten Weltkriegs erstmals Fußball gespielt. „Von den Amerikanern bekamen wir einen Baseball geschenkt, dieses harte Ding. Meine Mutter hat das mit Stoff-Fetzen umwickelt“, erzählte er mal AZ-Sportreporter Herbert Schmoll.

Weggefährten „Hemads“ berichten, dass die größeren Jungs immer mit ihm spielen wollten. Weil jede Mannschaft mit ihm meist gewann. Vom Fußball konnte man damals aber nicht leben. Helmut Haller machte daher eine Lehre und ging zunächst zur MAN, später in der Wessel‘schen Schuhfabrik seiner Arbeit nach.

Haller kickte beim BC Augsburg in der Oberliga Süd

Fußball spielte der junge Haller beim BC Augsburg in der Fußball-Oberliga Süd, die vor der Bundesliga die höchste deutsche Spielklasse war. Er war dann eine Art Halb-Profi, wurde Nationalspieler und spielte 1962 seine erste Weltmeisterschaft in Chile.

Helmut Haller 1957. Foto: BCA-Archiv (danke!)

Nach der WM lotste der damalige Präsident des FC Bologna,  Renato dall’Ara, den Augsburger Fußballer nach Bologna. Für eine Ablösesumme von lächerlichen 200.000 Mark. Damals gab es aber extra einen Empfang für den Transfer im Hotel „Drei Mohren“.

In Bologna wurde „Hemad“ zum Weltstar. Die Bolognesi verehrten ihn als „Il Biondo“ (der Blonde). Noch heute ist Haller in der Hauptstadt der Emilia-Romagna eine Legende. Die Stadt ist voller schöner Geschichten über „Il Biondo“ aus Augsburg. Am Piazza Maggiore gibt es noch heute in einem Café Fotos von dem Kicker zu bestaunen. Wenige Jahre nach seinem 60. Geburtstag gab er einem TV-Sender mitten in Bologna ein Interview. Natürlich erkannten einige Bolognesi den Star. Laut der Zeitung „Die Welt“ hätschelten sie ihn und bedankten sich für die süßen Erinnerungen an jene Zeit, als Bologna 1964 mit Haller den einzigen Nachkriegsmeistertitel gewann.

Im gleichen Jahr wählten ihn die Italiener zum Fußballer des Jahres. Der Augsburger war der erste Ausländer, dem diese Ehre widerfuhr. Für eine Privataudienz durfte Haller zum Papst, höher kann ein Fußballer in Italien nicht hinauskommen. Der „Hemad“ wusste das.

Haller hatte die Italiener 17 Jahre nach Kriegsende zu Deutschland-Fans gemacht. Die Zeitungen schrieben vom „ersten großen Deutschen in Italien“. Und das wenige Jahre nachdem die Wehrmacht Teile Mittel- und Oberitaliens besetzt hatte. Die Bolognesi liebten ihn vom ersten Tag an. Er hatte eine unglaubliche Spielíntelligenz, sah voraus, wohin der Ball kam. Seine Eleganz ließ sogar Gegner staunen. Seine Technik war feiner als die anderer, ob wohl er nicht im Nachwuchsförderzentrum eines Bundesligaclubs ausgebildet wurde. „In Italien bin ich heute noch bekannter als in Deutschland“, sage Haller kurz vor seinem 70. Geburtstag.

Von Bologna nach Turin: Traurige Bolognesi verziehen dem „Schlingel“

1968 wechselte er von Bologna zu Juventus Turin. Die Bolognesi waren traurig, verziehen ihm aber. Schließlich hatte er noch einen zweiten Spitznamen: „Neapolitaner“, was damals ein Wort für Schlingel war.  Denn der Weltklub Juventus zahlte die damals unglaubliche Ablösesumme von drei Millionen Mark für den Augsburger Edeltechniker.  Mit Torino holte er 1972 und 1973 den italienischen Titel, stand 1973 mit Juve im Finale um den Cup der Landesmeister (0:1 gegen Ajax Amsterdam). Wo der Augsburger spielte, hagelte es oft Siege. Doch Haller hatte Heimweh.

Peter Bircks, verstorbener Aufsichtsrats-Vorsitzender FC Augsburg (li.), Helmut Haller und Walther Seinsch (damals Vorstandsvorsitzender FC Augsburg) geben am 70. Geburtstag des Augsburger Fußball-Idols bekannt, dass ein Platz an der neuen FCA-Arena nach Helmut Haller benannt wird. Bild: Eibner

Als der verlorene Sohn 1973 mit 34 Jahren nach Augsburg zurückkehrte, brachen alle Dämme. Der Weltstar spielte in der Regionalliga Süd, weil er nach den vielen Jahren in Italien einfach wieder nach Hause wollte. Was dann am zweiten Spieltag geschah, wird für immer unvergessen bleiben.

Helmut Haller: Wegen ihm kamen 90.000 ins Olympiastadion

Es war der 15. August 1973. Sommer in Bayern. Ein toller Tag. Am Abend war das Spiel 1860 München gegen den FC Augsburg angesetzt. Ein normales Fußballspiel. Wäre da nicht die Euphorie um „Hemad“ gewesen.

In dichten Autokolonnen fuhren die Augsburger nach München ins Olympiastadion. 78.000 Zuschauer passten in das Rund. Es war nicht groß genug. Um das Stadion herum brach Chaos aus. Der Spielkbeginn musste verschoben werden. Die Ordnungskräfte gaben den Widerstand auf. Nach Schätzungen waren am Ende zwischen 90 und 100.000 Zuschauer im Olympiastadion. Sie alle wollten „Hemad“ sehen. Auch für die Münchner war Hallers Fußballkunst feiner als Bier und Radi.

Die Fußball-Legende dribbelte und zauberte, spielte seine feinen Pässe. Am Ende stand es 1:1. Und doch war dieses Spiel der Anfang eines Fußballjahres, in dem Augsburg von einer Rauschhaftigkeit getragen wurde, die selbst in der Aufstiegssaison 2010/2011 nicht erreicht wurde.

„Haller-Haller-Hallerluja“ sangen die Fans im Rosenaustadion. Im Schnitt 23.000 Zuschauer sahen die Augsburger Spiele in der zweithöchsten Spielklasse. Der FCA wurde, angeführt vom „Hemad“ aus Oberhausen, Meister der Regionalliga Süd. Vor dem großen Rivalen 1860 München, verpasste aber in der Aufstiegsrunde um einen Punkt hinter Tennis Borussia Berlin den Aufstieg in die Bundesliga. Was blieb, war die Begeisterung für ihn.

Haller hatte in Augsburg ein ungekanntes Hochgefühl ausgelöst. Die Legende dribbelte noch bis 1979 für seinen FCA. Am Ende etwas langsamer. Er war dann schon fast 40. In seiner letzten Saison kickte der damals 19-jährige Augsburger Armin Veh, später Bundesliga-Spieler bei Borussia Mönchengladbach und Meistertrainer beim VfB Stuttgart, in einem Team mit Haller. „Helmut war der Beste, den ich in meiner Laufbahn erlebt habe. Ein perfekter Fußballer“, sagte Veh einmal. Der Ex-Profi ist wie Haller in Augsburg-Oberhausen aufgewachsen und ist bis heute ein Freund der Familie.

Fehlt was? Ja. Die schönste Geschichte über den Augsburger Helden

30. Juli 1966, Finale der Fußballweltmeisterschaft im Londoner Wembleystadion. Deutschland gegen England. Die DFB-Elf führte früh 1:0. Torschütze von 96.000 Zuschauern: Helmut Haller aus Augsburg-Oberhausen. Am Ende verlor Deutschland, Wembleytor, englischer Jubel – alles bekannt. In dem ganzen Trubel nach dem Schlusspfiff schnappt sich ein Schlingel den Ball, lässt sich ein paar Autogramme draufschreiben, schmuggelt ihn an Queen Elizabeth II. vorbei und verschwindet in der Kabine.

So kam der Ball irgendwie erst nach Bologna, wo Haller damals spielte, später landete er in Augsburg, wohin Haller zurückgekehrt war und dann wurde er vergessen. Erst 30 Jahre später, wenige Wochen vor der EM 1996 in England, machte sich ein britischer Reporter auf die Suche nach dem Leder. Als herauskam, dass der Ball in Augsburg lag, setzte sich der „Balldieb“ aus Augsburg-Oberhausen ins Flugzeug und gab ihn zurück.

Helmut Hallers Reise, die in der Trümmerlandschaft am Oberhauser Bahnhof begann, ihn über sein geliebtes Bologna, Turin, ins Wembleystadion und wieder zurück nach Augsburg führte, endete 2012 mit 73 Jahren. Er war trotz Weltruhm bis zum Schluss ein bekennender, bodenständiger Augsburger geblieben. Als er vor zehn Jahren am 11. Oktober 2012 verstarb, hatte er schon vorher lange an Demenz gelitten.

Aufgebahrt wurde er in der Kirche St. Peter und Paul – natürlich in Augsburg-Oberhausen. Am 18. Oktober 2012 fand die Beisetzung mit 1000 Trauergästen auf dem Augsburger Nordfriedhof statt. Die Nationalmannschaftskollegen Franz Beckenbauer, Uwe Seeler, Hans Tilkowski und Sepp Maier kamen wie die fast komplette Augsburger Meistermannschaft aus dem „Haller-Luja“-Jahr 1973/74.

Auch der FC Bologna hatte eine Delegation geschickt – 50 Jahre nachdem „Il Biondo“ in ihrem Stadion das erste Spiel ihren Klub gemacht hatte. „Er war der größte Spieler, den wir je gehabt haben“, sagte der Kommunikationschef vom FC Bologna Carlo Caliceti bei der Beerdigung.

Doch die schönste Worte am Grab fand sein Augsburger Mitspieler Alwin Fink: „Helmut, dribble weiter im Paradies!“ Vermutlich dribbelt er dort noch heute.

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