Wenn ein Bundesminister auf Bayern-Besuch kommt, hat das meistens auch etwas mit Wahlkampf zu tun. Trotzdem ist es spannend, einen Mann wie Volker Wissing, den 53-jährigen FDP-Bundesminister für Verkehr und Digitales, in den eigenen Verlagsräumen zu begrüßen – und allerhand zu fragen.
Augsburg Journal: Herr Minister Wissing – wie gefällt Ihnen Augsburg, was verbinden Sie mit unserer Stadt?
Volker Wissing: Die Stadt Augsburg ist mir natürlich bestens bekannt. Ich komme aus dem ehemals bayerischen Teil von Rheinland-Pfalz, da fährt man regelmäßig nach München. Augsburg ist auf dem Weg immer eine willkommene Zwischenetappe, um rauszufahren – und bayerisch zu essen.
AJ: Was ist Ihr Leibgericht?
Wissing: Ich mag’s klassisch – Leberkäse und Weißwürscht. Und einen guten Schweinsbraten kann ich auch nicht stehen lassen.
AJ: Als Bundesverkehrsminister sind Sie für ein Groß-Projekt unserer Region verantwortlich: den Bahnausbau zwischen Augsburg und Ulm. Allen Ressorts wurden Gelder gestrichen – wie ist da der aktuelle Stand?
Wissing: Der neue Haushalt ist ein klares Bekenntnis zur klimaneutralen Schiene. Hier investieren wir sogar mehr – bis 2027 insgesamt 60 Milliarden Euro. Damit wollen wir u. a. Nadelöhre in ganz Deutschland beseitigen. Denn wenn die Züge von West nach Ost und Nord nach Süd nicht durchkommen, führt das auch auf anderen Strecken wie Ulm-Augsburg zu Verzögerungen. Auf der Strecke Ulm-Augsburg wollen wir die Fahrtzeit deutlich verkürzen: von 41 auf 26 Minuten. Derzeit laufen die Vorplanungen für eine mögliche Trassenführung.
AJ: Was bekommen Sie überhaupt von lokalen Problemen mit? Klopft da unser FDP-Bundestagsabgeordneter Max Funke-Kaiser gelegentlich an und „will irgendwas“ – für unsere Region?
Wissing: Wir sind im engen Austausch, auch weil er die Innovationspolitik begleitet und als echter Experte wichtige Impulse liefert. Deswegen bin ich auch hier im Wahlkreis, um mich vor Ort zu informieren. Augsburg hat einen sehr starken Mittelstand, der sich natürlich auch Gedanken macht: Wie schafft man die Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft? Für mich ist auch immer wichtig, zu sehen, wie das vor Ort läuft – direkt zu erfahren, was wir von bundespolitischer Seite tun können, um die mittelständische Wirtschaft zu unterstützen. Was ich hier gesehen habe, ist echte Pionierarbeit, zum Beispiel bei Quantron im Bereich klimaneutrale Nutzfahrzeuge. Die Menschen vor Ort in ihrer Arbeitsumgebung kennenzulernen, ist etwas anderes, als wenn man nur Vermerke darüber liest. Deswegen ist es auch wichtig für eine Region, dass ein Abgeordneter wie Max eben auch Dinge an Regierungsmitglieder kommuniziert, die die Menschen vor Ort beschäftigen.
AJ: Die bayerische Landtagswahl steht vor der Türe – die FDP liegt je nach Umfrage bei 4 oder 5 Prozent. Das kann richtig knapp werden – wie können Sie helfen?
Wissing: Indem wir für unsere Politik werben. Denn ohne eine Partei wie uns, die sich um Freiheit und Marktwirtschaft kümmert, wird es schwierig werden in den nächsten Jahren. Auch für Bayern ist es gut, wenn sich eine Partei für Digitalisierung und Fortschritt einsetzt und für marktwirtschaftliche Prinzipien und Technologieoffenheit in der Transformation kämpft. Und dafür, dass Mobilität in unserem Land bezahlbar bleibt. Die Bürgerinnen und Bürger haben in den letzten Monaten gemerkt, was die FDP bewirken kann. Und ich höre von vielen: Das würde Bayern auch guttun. Ich bin deshalb sehr zuversichtlich.
AJ: Das Auto nimmt als liebstes Fortbewegungsmittel derzeit wieder stark zu – vor allem bei der Jugend. Wie sehen Sie diese Entwicklung im Licht der Mobilitäts-Wende?
Wissing: Ich möchte den Menschen ihre individuelle Mobilität lassen. Die Begeisterung fürs Auto hängt ja damit zusammen, dass man mit dem Auto sehr flexibel ist und unkompliziert auch große Strecken zurücklegen kann. Für Menschen im ländlichen Raum ist das hochattraktiv, vielerorts sind sie auch auf das Auto zur Bewältigung ihres Alltags angewiesen. Aber auch in den Städten wird das Auto nicht an Bedeutung verlieren. Entscheidend ist, dass wir jetzt durch technologieoffene Politik so schnell wie möglich klimaneutrale Antriebe auf die Straße bekommen. Und daran arbeiten wir.
AJ: Aber gerade das Thema Wasserstoff erhitzt hierzulande die Gemüter. Unser bayerischer Wirtschaftsminister Aiwanger hat erst kürzlich hier in Augsburg arg über Sie geschimpft. Er wirft Ihnen und Ihren Kollegen eine „geistige Blockade“ beim Thema Mobilität mit Wasserstoff-Antrieben vor. Behauptet, das Thema würde im Bund „ideologisch torpediert“ – speziell von Kollege Habeck und Ihnen. Worauf gründen sich diese Vorwürfe?
Wissing: Jedenfalls nicht auf die Realität, denn wir machen sehr viel dafür. Wasserstoff spielt bei uns eine wichtige Rolle im Verkehrsministerium. Ich setze mich für Technologie-Offenheit ein, das heißt für Wasserstoff-Antriebe genauso wie für batteriebetriebene Elektro-Antriebe oder für E-Fuels-Only-Fahrzeuge. Denn wenn wir unsere Klimaziele erreichen und gleichzeitig wettbewerbsfähig bleiben wollen, müssen wir alle technologischen Möglichkeiten nutzen. Wir fördern Wasserstoffregionen in ganz Deutschland. Auch in Bayern haben wir mehrere Projekte, zum Beispiel zur Erzeugung von grünem Wasserstoff. Außerdem werden wir in Kürze die Nationale Wasserstoffstrategie fortschreiben, darin kommt dem Verkehr eine zentrale Bedeutung zu.
AJ: Sein Vorwurf: Das Land Bayern tut alles für einen zügigen Ausbau eines funktionierenden Netzes. Doch das Förderprogramm vom Bund – das ein Anreiz für die Unternehmen ist, in Wasserstoff zu investieren – funktioniere nicht. Weil Ihr Ministerium Anträge liegen lasse, Förderbescheide nicht rausschicke. Woran liegt‘s?
Wissing: Wir arbeiten sehr schnell, haben auch viel Digitaltechnik im Einsatz. Aber natürlich haben wir bei all unseren Programmen – sei es Ladeinfrastruktur oder Elektromobilität – eine sehr hohe Nachfrage bei den Förderungen. Deswegen kann es im Einzelfall auch mal etwas länger dauern. Wir arbeiten aber mit Hochdruck an der Beschleunigung der Bewilligungen. Aber bei insgesamt 2,2 Milliarden Euro Förderung für klimaneutrale Nutzfahrzeuge bis 2026 ist die die Zahl der Förderanträge sehr hoch. Die zuständigen Behörden arbeiten sie so zügig ab, wie möglich.
AJ: Aber Herr Aiwanger kennt einen Unternehmer in Niederbayern, der gerne mehr machen würde – wenn es schneller ginge… ?
Wissing: Also wenn jemand ein Problem mit einem Bescheid haben sollte, für den ich zuständig bin, dann kann er sich jederzeit gerne direkt an uns wenden. Das ist vielleicht effektiver, als über Herrn Aiwanger zu gehen, der offensichtlich sehr mit seinem Wahlkampf beschäftigt ist.
Volker Wissing: „Wasserstoff ist ein Schlüssel für vieles.“
AJ: Auch unsere Region ist stark in Sachen Wasserstoff-Technologie, wir haben hier in der Region innovative Unternehmen. Würden Sie unserem Wirtschaftsminister Aiwanger zumindest soweit zustimmen, dass Wasserstoff ein – oder sogar der – „Schlüssel zur Energiewende“ ist?
Wissing: Wasserstoff zählt eindeutig dazu. Deswegen macht der Bund auch so viel für diese Technologie. Wasserstoff ist ein Schlüssel für vieles. Wasserstoff bietet uns Möglichkeiten für klimaneutrale Mobilität und Logistik. Wasserstoff liefert uns auch Klimaneutralität in industriellen Prozessen und insofern sind wir da sehr engagiert.
AJ: Wie zufrieden sind Sie mit dem Thema E-Autos auf unseren Straßen? Könnte man die Attraktivität nicht noch deutlich erhöhen – durch Steuervergünstigungen oder ähnliches?
Wissing: Es kann nicht alles über Subventionen laufen. Wir müssen den Umstieg hin zur klimaneutralen Mobilität marktwirtschaftlich schaffen und nicht, indem der Staat hohe Steuern erhebt und sie wieder verteilt, um die Preise zu reduzieren. Entscheidender ist, dass wir jetzt ein Hoch erleben von Elektromobilität. Wir müssen dafür sorgen, dass die Ladeinfrastruktur ausgebaut wird. Wir machen das von Bundesseite auf den Bundesfernstraßen. Aber auch die Länder und Kommunen müssen dafür sorgen, dass vor Ort Ladeinfrastruktur aufgebaut wird. Deutschland ist führend, was das Thema angeht.
AJ: Und woher wissen Sie, wo mehr oder weniger Bedarf besteht – der sich ja auch immer verändert?
Wissing: Wir analysieren das Mobilitätsverhalten und können dann mit digitaler Technik errechnen, an welchen Stellen wie viele Ladesäulen und Schnell-Ladesäulen gebraucht werden, sodass es nicht zu Wartezeiten kommt. Das macht für uns die Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur in Berlin, die NOW. Sie hilft auch den Ländern und Kommunen, in ihrem Zuständigkeitsbereich die Standorte zu identifizieren. Das heißt, eine Stadt wie Augsburg kann sich informieren, wo genau und wie viele Ladesäulen sie hier vor Ort braucht. Denn man braucht ja auch entsprechende Netze und Anschlüsse – das muss vorausschauend geplant werden. Aktuell haben wir 2,2 Millionen E-Autos, wenn man die Plug-in-Hybride dazu zählt, und über 1,2 Millionen rein elektrische Autos. Dieser Sommer ist stark wie nie, was die Zulassungszahlen angeht – und die Nachfrage nach Ladestationen.
AJ: Und was passiert, wenn es plötzlich doppelt so viele Elektrofahrzeuge wären?
Wissing: Wir bauen ein Netz entlang der Bundesfernstraßen auf, das ausreichend ist für 100 Prozent Elektrofahrzeuge. Daneben braucht man Lademöglichkeiten auch jenseits der Fernstraßen, also vor allen Dingen im städtischen Bereich. Außerdem geht es um die Problematik: zu Hause laden. Da wird es einen vorausschauenden Netzausbau geben müssen, sodass dass man auch daheim eine Wandladestation – „Wallbox“ – anschließen kann. Im Herbst startet unser neues Förderprogramm. Eigenheimbesitzer können beispielsweise Solaranlagen, Zwischenspeicher und Wallbox gefördert bekommen, wenn sie sich ein Elektroauto anschaffen. Das ist nicht nur preislich attraktiv, weil man seinen eigenen Strom erzeugen kann. Die dezentrale Energieerzeugung führt auch zu einer Stabilisierung des Stromnetzes.
AJ: Noch kurz zu Ihrem zweiten Ressort: Die Digitalisierung. Sind wir ein digitales Entwicklungsland oder wie beurteilen Sie die Gesamtlage in Deutschland?
Wissing: Was die digitale Infrastruktur angeht, holen wir gerade ziemlich schnell auf. Wir haben einen rasanten Zuwachs an Glasfaserverfügbarkeit und auch Mobilfunk. Wir wollen 2030 Vollversorgung haben, 100 Prozent Versorgung mit Glasfaser und 5G. Wir sind da voll im Plan. Bei 5G haben wir heute schon 87 Prozent Abdeckung. Die Ampel ist angetreten, dieses Land deutlich digitaler zu machen. Da würde ich mir auch von Länderseite manchmal mehr Unterstützung wünschen. Manche wollen immer noch am Analogen festhalten. Doch wir wollen konsequent die Daten-Verfügbarkeit sicherstellen und effizienter werden. Das heißt: Alles, was wir digitalisieren können, müssen wir digitalisieren.
Mehr Digitalisierung in Verkehr und Gesundheitsbereich
AJ: Welche Beispiele aus der Praxis fallen Ihnen ein?
Wissing: Zum Beispiel das „Deutschland-Ticket“, das wir von vornherein als digitales Ticket aufgelegt haben. Dem Wunsch nach Papierfahrscheinen können wir nicht mehr entsprechen, wenn wir den Öffentlichen Personennahverkehr langfristig attraktiver machen wollen. Die Daten, die uns künftig ein digitales Ticket liefern kann, werden uns dabei helfen. Des Weiteren bekommen wir die digitale Kfz-Zulassung, den digitalen Führerschein, im Gesundheitsbereich arbeiten wir an der digitalen Patientenakte und dem E-Rezept. Wir brauchen die Verfügbarkeit der Daten – das ist zentrales Ziel der Digitalstrategie der Bundesregierung. Da sind wir ganz konsequent und das ist auch ein großer Schritt, den die Länder mitgehen müssen. Denn die Digitalisierung der Verwaltung ist eine gemeinsame Aufgabe. Wir können hier nur erfolgreich sein, wenn alle mitmachen.
AJ: Wenn man die politische Gesamtwetterlage betrachtet, könnte man von einer „Ampel im Sturm“ sprechen. Wie schwierig ist die Zusammenarbeit mit Grünen und SPD? Wie reagiert die FDP auf den Aufwind für die AfD?
Wissing: Koalitionen sind immer schwierig, weil man innerhalb der Regierung ringen muss. Aber das ist die Aufgabe von Politik, dass man unterschiedliche Positionen zu einer Lösung bringt. Wir haben unterschiedliche Meinungen innerhalb der Regierung, weil wir auch unterschiedliche Meinungen innerhalb der Bevölkerung haben. Und insofern ist eine Koalitionsregierung auch immer eine Chance, einen Interessensausgleich im Land herzustellen. Wir haben große Projekte, wie die Novelle zum Klimaschutzgesetz, das Gebäude- und Energiegesetz, das Straßenverkehrsgesetz oder die Straßenverkehrsordnung in Koalitionsbeschlüssen abgearbeitet. Die Gesetzentwürfe liegen vor. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass wir in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode genauso schnell eine Einigung zustande kriegen, wie wir das zu Beginn des Ukraine-Krieges erlebt haben, wo die Ampel gut funktioniert hat. Deswegen ist meine Erwartung, dass wir Vertrauen für die Regierung gewinnen und den Menschen mit Optimismus und Mut auch ein politisches Angebot machen können, das sie attraktiv finden, sodass die Ränder nicht weiter gestärkt werden.
AJ: Wenn der Augsburger Fußball-Bundesligist FCA mal nicht so toll spielt, spricht die Nation gern von der „Puppenkiste“. Sie sind gebürtig aus Landau in der Pfalz – was Harald Schmidt in seiner Hoch-Zeit zum Dauer-Gag „Die dicken Kinder von Landau“ animierte. Wie haben Sie das ohne Spätschäden überstanden?
Wissing: Ich fand es skurril, weil ich auch nie den Bezug zu meiner Heimatstadt Landau rausbekommen habe. Eine Erklärung könnte sein, dass Harald Schmidt Landau aufgrund einer öffentlichen Diskussion in den Blick bekam. Damals ging es um die Statue des Münchner Künstlers Martin Mayer. Seine überlebensgroße Bronze-Figur namens „Landavia“ stellt eine lebensfrohe Dame mit üppigen Kurven dar – die aufgrund großer Kritik von vielen Seiten mehrmals ihren Standort wechseln musste. Vielleicht hat er sich darüber lustig gemacht?! Inzwischen, rund 40 Jahre später, gilt sie übrigens als eines der Wahrzeichen Landaus.
Lesen Sie auch: Markus Ferber: Der Europaabgeordnete im Interview